Dunkler Rausch der Sinne
brauchen Frauen, Gefährtinnen
für unsere Männer. Unsere Frauen sind das Licht in dieser Dunkelheit. Unsere
Männer sind wie Raubtiere, dunkle, gefährliche Jäger, die im Lauf der
Jahrhunderte immer tödlicher werden. Wenn wir keine Gefährtinnen finden, werden
sich alle in Vampire verwandeln, und wenn die Männer ihre Seelen verlieren,
wird unsere Rasse aussterben. Es wird Verwüstungen von einem Ausmaß geben, wie
wir es uns nicht vorstellen können. Das zu verhindern ist deine Pflicht,
Mikhail, und es ist eine gewaltige Aufgabe.«
»Ebenso wie die eure«, sagte Mikhail leise. »So viele Leben zu nehmen
und einer von uns zu bleiben ist keine geringe Leistung. Unser Volk hat euch
viel zu verdanken.«
Julian, der
immer noch die Gestalt eines Murmeltiers hatte, verbarg sich schnell wieder im
Unterholz, um nicht von den Männern des alten Stamms entdeckt zu werden. Hinter
ihm raschelte es im Buschwerk, und er drehte sich um. Zwei hochgewachsene
Männer standen regungslos und stumm vor ihm. Ihre Augen waren dunkel und leer,
ihre Gesichter so unbewegt, als wären sie in Stein gemeißelt. Ein feiner Nebel
schien vom Himmel zu fallen und sich über ihn und Dimitri zu senken. Julian
hielt den Atem an und riss die Augen weit auf. In diesem Moment tauchte Gregori
vor den beiden Jungen auf und schob sich beinahe beschützend vor sie. Als
Julian den Kopf zur Seite legte, um an ihm vorbeizuspähen, waren die mystischen
Jäger so spurlos verschwunden, als wären sie nie da gewesen, und die beiden
Jungen fanden sich allein mit Gregori vor.
Lucian
Frankreich, 1500
Die Sonne versank in einem
Strahlenkranz leuchtender Farben, die allmählich dem Schiefergrau der Nacht
wichen. Tief unten im Erdboden fing ein Herz an zu schlagen. Lucian ruhte in
der fruchtbaren, heilkräftigen Erde. Die Wunden aus dem letzten schweren Kampf
waren verheilt. Im Geist überprüfte er die Umgebung rings um seine Ruhestätte,
nahm aber nur die Bewegungen von Tieren wahr. Erdbrocken wurden in die Luft
geschleudert, als er aus dem Boden auftauchte und tief einatmete. In dieser
Nacht würde sich seine Welt für alle Zeiten ändern. Gabriel und Lucian waren
Zwillinge. Sie sahen gleich aus, dachten gleich, kämpften gleich. Im Lauf der
Jahrhunderte hatten sie auf allen möglichen Gebieten Kenntnisse erworben, und
dieses Wissen teilten sie miteinander.
Alle Männer des Karpatenvolks verloren, je älter sie wurden, ihre
Empfindungen und die Fähigkeit, Farben zu sehen. Sie bewegten sich in einer
dunklen, düsteren Welt, in der nur ihr Gefühl für Ehre und Treue verhinderte,
dass sie zu Vampiren wurden, während sie auf die Gefährtin ihres Lebens
warteten. Gabriel und Lucian hatten einen Pakt geschlossen. Sollte sich einer
von ihnen in einen Vampir verwandeln, würde der andere seinen Zwillingsbruder
jagen und vernichten, bevor er die Morgendämmerung und damit seinen eigenen
Untergang erlebte. Lucian wusste bereits seit einiger Zeit, dass Gabriel mit
seinem inneren Dämon rang und allmählich von der Dunkelheit verzehrt wurde,
die sich in ihm ausbreitete. Die ständigen Kämpfe forderten ihren Tribut.
Gabriel war dicht davor, auf die dunkle Seite zu wechseln.
Lucian atmete noch einmal die reine Nachtluft ein. Er war entschlossen,
Gabriel am Leben zu halten, seine Seele zu retten. Es gab nur eine Möglichkeit,
dieses Ziel zu erreichen. Wenn er Gabriel davon überzeugen konnte, dass er,
Lucian, sich den Reihen der Untoten angeschlossen hatte, blieb Gabriel nichts
anderes übrig, als ihn zu jagen. Das würde Gabriel davon abhalten, mit einem
anderen als Lucian zu kämpfen. Sie beide waren einander an Macht ebenbürtig,
also würde Gabriel ihn niemals besiegen können, und dadurch ebenso wie durch
die Tatsache, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, würde Gabriel standhaft bleiben
können.
Lucian
erhob sich in die Lüfte und suchte sein erstes Opfer.
Lucian London,1600
Die junge Frau stand an der
Straßenecke, ein starres Lächeln auf den Lippen. Die Nacht war kalt und dunkel,
und sie fröstelte. Irgendwo da draußen in der Dunkelheit trieb sich ein Mörder
herum. Er hatte bereits zwei Frauen umgebracht, das wusste sie. Sie hatte
Thomas angefleht, sie heute Abend nicht hinauszuschicken, aber er hatte sie
brutal ins Gesicht geschlagen und zur Tür hinausgestoßen. Sie verschränkte die
Arme vor der Brust und bemühte sich verzweifelt, den Eindruck zu erwecken, als
hätte sie Spaß an dem, was sie tat.
Ein Mann kam die Straße herauf. Ihr
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