Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Haare ein bißchen wachsen lassen, Konrad? Ich stelle mir vor, daß sie sich um deine Ohren kringeln würden, wenn sie dürften.«
Er riß die Augen auf. »Warum seid ihr Mädels bloß so versessen auf Locken?« fragte er verwundert. »Laß den Abwasch stehen«, sagte er dann. »Den mache ich später.«
»Ich schaue mal bei Papa vorbei«, sagte sie plötzlich. »Ich muß nachsehen, ob er genug zu essen im Kühlschrank hat.«
Da war wieder dieses Wort, das ihn in Verlegenheit stürzte. Papa. Ein vertrauter kleiner Stich.
»Wie nimmt er es auf? Daß er plötzlich so viel allein ist?«
»Hast du ein schlechtes Gewissen?«
»Vielleicht braucht er dich mehr als ich.«
»Brauchst du mich nicht?« fragte sie sofort.
Er blickte sie verwirrt an. »Natürlich brauche ich dich. Ich dachte nur, wo er doch krank ist… Ich komme schließlich allein zurecht.«
»Wirklich?«
Er begriff nicht, worauf sie hinauswollte. Vergaß zu essen. Suchte in ihrem Gesicht und danach in seinen Spaghetti nach einem Hinweis. Natürlich brauchte er sie. Aber er mußte einfach an ihren Vater denken, der an MS litt und allein in seinem Rollstuhl saß. Dem er Sara weggenommen hatte. Sicher, nicht für immer, aber für einen immer größer werdenden Teil der Zeit.
»Ich brauche dich sogar sehr«, brachte er unbeholfen hervor.
»Mehr als mein Vater«, sagte sie energisch. »Du brauchst mich mehr als mein Vater. Sag das laut!«
Aber er schwieg. Versuchte nachzudenken. Wie würde das Leben aussehen, wenn sie plötzlich verschwände? In Gedanken war er darauf vorbereitet. Hielt er sich zurück? Rechnete er damit, daß sie bald gehen würde, ließ er sich nicht ganz fallen? Wie sehr brauchte sie ihn? Sie war so selbständig. Schien alles schaffen zu können. Irrte er sich vielleicht? Er war doch nicht das, was sie brauchte, im Grunde nicht. Er wollte nicht spielen. Früher oder später würde sie sich einen anderen suchen, einen Jüngeren. Einen wie Jacob, dachte er. Gott helfe mir, was sind das für Gedanken? Ich bin ja eifersüchtig. Auf alle, die jünger und mutiger sind als ich.
»Du mußt mir verzeihen«, sagte er. »Ich bin ein langsamer Mann.«
Ein wenig unglücklich saß er da und sah sie an. Und in ihren Augen erblickte er etwas, das ihm den Atem nahm. Eine überwältigende Zärtlichkeit. Er mußte den Kopf senken. Das war zu stark für ihn. Schweigend setzten sie die Mahlzeit fort. Aber jetzt war er in ihren Gedanken, das spürte er.
Danach spülte er die Teller sorgfältig unter fließendem Wasser ab. Das Telefon klingelte. Es war Jacobs eifrige Stimme, vermischt mit atonalem Lärm. Sejer schrie in den Hörer: »Ich hör dich nicht. Mach den Krach leiser! Rufst du von zu Hause an?«
»›Jazz from Hell‹!« schrie Jacob. »Frank Zappa. Nennst du das Krach?«
Sejer hörte, wie der Hörer auf eine harte Fläche gelegt wurde. Der Lärm verstummte.
»Ich war bei Frau Winthers Freundin«, keuchte Jacob. »Konrad! Irgendwas stimmt nicht mit der Alten. Ja, entschuldige, aber ich frage mich, ob sie nicht ganz einfach verrückt ist.«
»Ach«, sagte Sejer abwartend.
»Fahr zu ihr und rede mit ihr!«
»Was?«
»Sie weiß etwas. Da ist irgend etwas Seltsames passiert. Ich kann das nicht erklären. Aber wie deine Mutter immer gesagt hat: Ich weiß es einfach.«
»Es ist schon spät«, sagte Sejer. »Ich hab noch anderes… Roberts Eltern…«
»Ja. Aber sie kommt her, und sie ruft hier an. Aus ihrem Mund kommen seltsame Mitteilungen – daß sie weiß, wo er ist, daß er nicht mehr lange leben wird und Gott weiß was noch. Du mußt das überprüfen!«
»Sie sagt, daß sie weiß, wo er ist?«
»Ohne seinen Namen zu nennen. Aber sie weiß es. Du mußt mit ihr sprechen. Nein, ich habe keine wirkliche Theorie, ich finde das nur seltsam. Und sie kennt ihn ja, er ist der Sohn ihrer Freundin.«
»Aber du warst doch bei ihr? Hast du etwas gefunden, oder hast du nichts gefunden?«
»Ich habe herausgefunden, daß du unbedingt mit ihr reden mußt. Du mußt das erleben, was ich erlebt habe, verstehst du?«
Einen solchen Eifer, eine derart deutliche Ahnung konnte Sejer einfach nicht abtun. Der Hund starrte ihn an, und er dachte kurz nach, dann faßte er einen Entschluß und rief. Kollberg jagte wie ein zottiger Blitz durch den Raum. Sejer streichelte Sara zum Abschied die Wange und wanderte die zwölf Treppen hinunter. Der Hund zögerte auf jeder Stufe. Sejer blieb stehen, musterte das schwere Tier und überlegte sich, daß das Alter ihm
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