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Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
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wie ihm zumute war. Trotz aller Anstrengungen musste er erleben, wie seine Truppe innerhalb kurzer Zeit zu einem armseligen Häuflein zusammengeschmol zen war.
    »Gleichwohl«, erwiderte die Schwester unbewegt, »hat es keinen Sinn, ihm eine Chance zu geben. Wenn er darauf aus ist, die Toten zu erwecken, von Ctersi auf der anderen Seite des Ozeans bis hierher, ist er stärker, als ich dachte. Der Stärkste, der je bekannt geworden ist. Und welchen Ursprung seine Macht hat, kann ich nicht ergründen. Hat er sich sogar den Ozean Untertan ge macht?« Sie schüttelte unbehaglich den Kopf, und ihre Finger deuteten die alte Geste zur Abwendung des Bösen an. »Wir sollten einen Bogen nach Süden schla gen, bis hinunter zur Küste. Der Weg ist leichter, wenn auch länger. Er wird der Reise nicht mehr als eine oder zwei Wochen hinzufügen, und wir können den Proviant strecken.«
    »Eine Woche kann den Unterschied zwischen einem offenen und einem zugeschneiten Pass ausmachen«, be harrte der Graf.
    »Ich sehe die Gefahr nicht. Gewöhnlich beginnen die Schneefälle in den Bergen erst in einem Monat, und wenn man ohne schwerfälligen Tross reist, ist der Pass noch im Schnee passierbar.«
    Silvus ließ den Blick über den Himmel gehen. Schäf chenwolken zogen langsam unter einer hohen, dunstigen Zirrusschicht. »Meinen Sie, dass wir ihn abschütteln kön nen?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat uns jetzt gesehen und wird uns in diesem leeren Land wiederfinden kön nen, sogar von Ctersi aus. Aber seine Augen können nicht überall sein. Er hat viel zu tun und wir sind die geringste seiner Sorgen. Andere Mitglieder des Ordens sind in ver schiedene Länder gereist, um da und dort eine Dan kesschuld zurückzufordern, und Ys ist noch immer die stärkste Feste auf Erden.«
    Ich wusste nicht, ob sie es sagte, um uns oder sich selbst Mut zu machen.
    Ruane stand seufzend auf. »Gibt es hier draußen keine Landesbewohner? Keine Hirten, keine Eremiten? Stirbt niemand, außer im Kampf gegen das Dunkel?«
    Sie blickte zu Silvus. Sein Achselzucken war fast un merklich.
    »Die Toten sind überall, Durchlaucht, und sie können wiedererweckt werden, solange die Gebeine miteinander verbunden sind«, sagte sie. »Manchmal noch danach. Ob wohl selbst ein großer Zauberer Aufmerksamkeit und Kraft aufbieten muss, um sie gehen zu machen. Nichts destoweniger sollten wir unnötige Risiken vermeiden. Das Lagern in der Nähe von Schlachtfeldern ist töricht. Warum ihm zuarbeiten?«
    Der Graf blickte ihr einen Moment lang ins Auge, dann wandte er sich ab und starrte mit einem beinahe sehnsüchtigen Ausdruck auf die Berge. Ich hatte eine Vision der verbrannten Leichen von Hoppelinmoor, die sich aus der Asche hervorkrallten, um sich an mir zu rächen. Ein Schaudern überlief mich und es ging vorüber.
    »Wir sind zurück gegangen«, fügte sie mit leiser Stim me hinzu. »In früheren Zeiten, bevor die Menschen das Eisen kannten, gab es menschliche Siedlungen auf diesen Ebenen, wie der Untote mit dem Bronzeschwert bezeugte. Sie lebten als Hirten und opferten unbekannten Göttern, die sich schließlich gegen sie wandten. Warum, wissen wir nicht. Die Göttin weiß es, und sie sagt es nicht. Aber vielleicht ist das Dunkel ihr Vermächtnis. Ihrer und ihrer Götter Vermächtnis.«
    Sie schwang sich in den Sattel. Es gab nichts mehr zu sagen oder zu tun. Wir wandten uns nach Süden.
    Das Moor- und Heideland wird allmählich welliger, wenn man von Osten her dem Gebirge entgegenzieht. Niedrige, breite Bodenwellen, die in nordsüdlicher Rich tung das Land durchziehen, rechtwinklig zur entfernten See. Wir folgten dem natürlichen Verlauf des Geländes und ich suchte das Gefühl zu unterdrücken, dass wir den Weg des geringsten Widerstandes eingeschlagen hatten. Weit im Süden lag das Meer, und entlang seinen Küsten gab es die unvermeidlichen Siedlungen – Fischerdörfer, Faktoreien, wohin die Fallensteller ihre Felle und die Hir ten ihre Wolle zum Verkauf brachten, wo Händler mit ihren Schiffen festmachten. Diesseits des Saumes mensch licher Aktivitäten fiel der bröckelnde braune Stein, der den Untergrund der Moore und Heiden bildete, allmäh lich zur See ab und baute eine Küste aus niedrigen, felsi gen Landzungen und schmalen Buchten auf, in deren Rücken nichts als dreihundert Meilen welliges Heideland, Moore und Sümpfe lagen.
    Zwei Nächte später hatte Silvus die dritte Wache; es war meine dienstfreie Nacht. Solange noch Licht war,

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