Dunkler Zauber
herankommen. Also hab ich im Einkaufszentrum angefangen. Wo sie sich immer rumtreibt.« Alex versetzte ihrer Schwester einen spielerischen Knuff. »Hab ich's nicht gesagt? Das ist nicht das richtige Umfeld für ein Mädchen wie dich.« Cam verdrehte die Augen. »Erzähl weiter.«
»Ich fand den Helfende-Hände-Stand und hab mich da mal ein bisschen informiert. Ich hab ziemlich schnell begriffen, dass da was faul ist, aber es war alles in allem doch brauchbar für mich. Also hab ich mich da freiwillig gemeldet und gedacht, dass ich dich auf diese Weise leicht ansprechen und dich dazu kriegen kann, mir zu vertrauen.«
»Und wenn ich dich damals nicht über den Haufen gerannt hätte?«, fragte Cam.
»Ich hätte schon irgendwie deine Aufmerksamkeit erregt.« Er zwinkerte. Seine seltsame Kombination aus Selbstvertrauen und Bescheidenheit war nahezu unwiderstehlich. Alex hob die Hand. »Moment mal. Warum hattest du es denn mit diesen so genannten Helfenden Händen ausgerechnet auf sie abgesehen? Warum nicht auf mich? Je nachdem, wer dir zuerst begegnet?«
Shane zuckte mit den Schultern. »Sie ist so idealistisch, die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für so etwas interessiert, war einfach größer.«
»Das soll also heißen, dass ich die zynische Schwester bin, oder was ?« Alex war sich nicht sicher, ob sie ihre Entgegnung wirklich als Scherz gemeint hatte.
»Du bist misstrauischer. Das ist einfach so«, sagte Shane. »Es wäre viel schwerer gewesen dich reinzulegen.«
»Weißt du was?« Alex musste das jetzt mal klarstellen. »Diesmal war Cam der Zweifel-Zwilling. Sie wusste, dass im Staate Wohltätigkeitsorganisation etwas faul ist. Ich hab die ganze Zeit behauptet, dass sie überreagiert.«
Gedankenverloren fragte Cam: »Woher weißt du so viel über uns?«
»Lord Thantos weiß alles. Über euch, eure Freunde – und über eure Familie.«
Cam und Alex erfasste ein Zittern.
»Damals im Einkaufszentrum hatte ich dich schon fast«, sagte Shane. »Aber dann tauchte Beth auf und ihr habt euch gestritten. Ich wusste, dass sie deine beste Freundin ist, also hab ich meinen Plan geändert.«
»Und stattdessen Beth benutzt«, sagte Cam bedauernd, »um an mich ranzukommen.«
Alex erinnerte Cam: »Aber dann hat er sie stattdessen gerettet.«
»Du magst sie auch ein bisschen, oder?«, fragte Cam zögernd. »Das war doch nicht alles nur Show?«
Shane angelte einen Zettel aus seiner Tasche und knickte ihn in der Mitte. »Würdest du ihr das hier geben, wenn du sie das nächste Mal triffst? Ich wollte sie nie verletzen. Beth ist klug und warmherzig. Wenn sie an irgendwas glaubt, dann kann nichts und niemand sie aufhalten.«
Alex fasste einen Gedanken in Worte, den beide Mädchen hatten: »Thantos. Wo verläuft da bei dir die Grenze? Würdest du jemanden umbringen, wenn er es von dir verlangt?« Shane blickte nachdenklich vor sich hin. »Vor den Geschehnissen des heutigen Abends hätte ich diese Frage nicht zugelassen«, sagte er dann. »Weil die Antwort klar gewesen wäre. Aber jetzt... Ich weiß es nicht.« Er räusperte sich. »Aber euch kennen zu lernen hat noch etwas anderes verändert. Es hat mich an etwas erinnert. Und das war hart für mich.«
»Was denn?«, fragte Cam.
Shane zählte die einzelnen Punkte an seinen Fingern ab. »Ihr seid nicht bei uns auf Coventry Island aufgewachsen. Mehr noch, ihr seid noch nicht einmal gemeinsam aufgewachsen. Ihr wusstet auch nicht, dass ihr Hexen seid. Aber trotzdem habt ihr instinktiv gesehen, wenn etwas unrecht war, und habt versucht, es besser zu machen. Ihr habt euch mit voller Kraft dafür eingesetzt, Unschuldige vor Leid zu bewahren.« Er blickte sie an. »Euch zwei in Aktion zu erleben war für mich wie eine Offenbarung. Genau so sollte unsereins handeln. Und Thantos handelt nicht so.«
»Was hast du jetzt vor?«, fragte Cam leise und sonnte sich in der Wärme von Shanes ernst gemeintem Lob. Er dehnte seine langen Beine und erhob sich. »Nach Hause gehen. Nach Coventry Island.«
»Aber bist du denn da in Sicherheit? Hast du es nicht gerade geschafft, dir Thantos zum Feind zu machen?«
»Nach diesem Abend heute werde ich wahrscheinlich nirgendwo mehr in Sicherheit sein«, gab Shane zu. »Aber dort sind meine Familie und meine Freunde. Und der Vereinte Rat. Es ist meine Pflicht, darüber zu berichten, was heute Abend geschehen ist. Außerdem ist Coventry Island meine Heimat.«
Auch unsere?, dachte Alex, aber sie sprach es nicht aus. Das war auch gar nicht nötig.
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