Dunkles Erwachen
den Kehlen beider Kontrahenten drang ein tiefes Brüllen. In diesem Moment spürte Talon nicht, wie seine menschliche Seite einem dünnen Vorhang gleich zerrissen wurde und darunter etwas zum Vorschein kam, was er selbst nicht ausloten konnte. Er sah den schwarzen Körper seines Gegners vor sich und kannte nur ein Ziel. Ihn zu besiegen.
Beide hetzten aufeinander los. Von einem Feuer der Wut erfüllt stieß er vor und schlug zu. Seine Finger waren zu einer Kralle geöffnet und gruben sich tief in den schattenhaften Leib. Shions Körper wurde im Schwung abgefangen und taumelte zurück.
»Ja!«, entfuhr es Alice weit über den Kämpfenden. Sie presste die Faust auf den Mund und unterdrückte den Wunsch, aufzuschreien.
»Nein!«, zischte N'kele wütend. Ungläubig ruckte sein Kopf hoch. Mit einer barschen Handbewegung unterbrach er die Unruhe, die unter den Männern um ihn herum ausgebrochen war. »Sakrileg«, murmelte er. Seine Finger zuckten. Er wollte in den Kampf eingreifen und dem Fremden nicht die Ehre zukommen lassen, durch Shions Macht zu fallen.
In Kairo dröhnte das heftige Lachen eines Hünen durch die zerstörten Straßen. Der dunkelhäutige Mann reckte die rechte Faust in die Höhe und jubelte.
»Ja!«, schrie er mit rauer Stimme. »Fahr zu deiner Hölle, Schattenbrut!«
Die Verbindung, die er mit Talon ohne dessen Wissen aufrechterhalten hatte, ließ vor seinem inneren Auge das Bild des Kampfes entstehen.
Der Bann zwischen ihnen war endgültig gebrochen. Keiner von ihnen wartete noch ab oder lauerte zurückhaltend, um eine Schwachstelle am Gegner zu entdecken. Ihr einziges Verlangen war die Niederlage des anderen. Der Rausch, den Kampf zu gewinnen.
Erneut sprang Shion vor. Der schwere Körper durchschnitt die Luft mit einer unerwarteten Leichtigkeit. Talon riss beide Hände hoch und packte den schwarzen Löwen an der Kehle. Die Wucht des Gewichts hätte ihn fast nach hinten geworfen. Doch er stemmte seine Beine in den Boden und fing den Sprung ab. Er verschwendete keinen Gedanken mehr an die Wunde, die ihm die Wächter zugefügt hatten. Seine Augen waren alleine auf die dunklen Krallen gerichtet, die in einem unwirklichen Licht aus sich heraus leuchteten.
Obwohl er versuchte, den Körper mit ausgestreckten Armen auf Distanz zu halten, setzte der Löwe mit kräftigen Hieben nach. Wie in Zeitlupe sah er Shions Pranke durch seine Deckung hindurchstoßen. Talon spürte nur, wie etwas in seine Brust eindrang. Dann wurde er durch den Stoß zurückgeworfen. Die unruhigen Laute der Raubkatzen, die dem Schauspiel beiwohnten, verstummten.
Getroffen ging er zu Boden. Aus zusammengekniffenen Augen konnte Talon die blutrote Spur erkennen, die sich quer über seine rechte Brust zog. Jetzt drang auch der Schmerz heiß durch seinen Körper und betäubte seine Sinne für einen Augenblick. Er stützte die Hände auf den Boden und betrachtete den Löwen, der ein paar Meter von ihm entfernt stand.
Shion wartete ab, wohl wissend, dass sein Gegner durch die Wunde nicht ernsthaft getroffen war. Er ließ den Mann nicht aus den Augen, der noch immer halb am Boden lag und sich auf einen Arm aufstützte. Seine Pranken gruben sich tief in den Untergrund. Leise brach die steinerne Struktur auf und zersplitterte mit jedem Schritt zu feinem Staub.
Das schattenhafte Tier wirkte einen Moment verwirrt. Es rechnete damit, dass sich sein Gegner wieder aufraffte. Dann jedoch zögerte es keinen Augenblick mehr. Aus seinem Rachen löste sich ein heiseres Brüllen. Mit mächtigen Sätzen überwand der Löwe die Distanz und sprang auf den Menschen zu.
Alice sah mit weit aufgerissenen Augen den massigen Körper, der auf Talon zuschnellte. Sie keuchte entsetzt auf. Ihre Hände hatten sich in die Mauer gekrallt. Sie bekam kaum mit, wie Janet neben ihr aufgesprungen war und den Blick genauso wenig von dem Bild lassen konnte, das sich ihnen bot.
Vor Talons Auge wuchs der dunkle Körper ins Unermessliche an. Bis zum letzten Augenblick wartete der Mann, um auf den Angriff zu reagieren. Er spannte seine Muskeln und rollte sich über den blutverschmierten Stein zur Seite. Knapp hinter ihm fing Shion seinen Sprung nur mit Mühe ab. Der heftige Aufprall ließ die Fasern seiner schattenhaften Struktur wabern und für einen Moment verwischen.
Sofort jedoch setzte er mit einer Pranke nach, die Talon allerdings weit verfehlte. Dieser blieb keuchend an der Stelle liegen, an der er zur Ruhe gekommen war. Es fiel ihm schwerer hochzukommen, als
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