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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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sind heuer spät dran, fast schon nach der Saison. Also komm, ehe die Sterne ganz verschwinden! Ich habe meine besten Juwelen angelegt.«
    »Das Beste von allem hast du aber vergessen!«
    »Ai! Richtig! Unser Juwel! Er kommt mit. Er hat noch nie den Himmel gesehen.«
    Ameera klomm die schmale Leiter hinauf, die empor zum flachen Dache führte, und in ihrem Arm lag, still und mit weit offenen Augen, das Kind, eingehüllt in silberdurchwirkten Musselin, auf dem Köpfchen eine kleine Haube. Ameera trug allen Schmuck, den sie besaß: den diamantenen Nasenknopf, der wie das europäische Schönheitspflästerchen den Zweck hat, die feine Schweifung der Nüstern zu betonen, den goldenen Zierat mitten auf der Stirn, besetzt mit Smaragd- und Rubintropfen, die schwere Halskette aus gehämmertem Gold, die sich weich an ihren Nacken schmiegte, und die klirrenden, getriebenen Silberreifen um die zarten, schlanken Fußknöchel. Sie war gekleidet in jadegrünen Musselin, wie es sich geziemt für eine Tochter aus dem Stamme der Gläubigen. Von Schulter zu Ellbogen und vom Ellbogen zum Gelenk liefen Braceletts aus Florettseide, mit Silberfäden durchzogen, und zarte Glasarmbänder fielen auf die Hand herab, um ihre Schmäle zu zeigen. Dazwischen schwere goldene Armreifen, die zwar keine Ornamente nach dem Geschmack der Asiaten zeigten, aber ein Geschenk Holdens waren und - versehen mit schönen europäischen Schlössern - Ameeras besondere Freude bildeten.
    Sie setzten sich beide auf das weiße, niedrige Ruhebett auf dem Dache und blickten hinab auf die Stadt mit den vielen Lichtern.
    »Sicher sind sie glücklich, die da unten«, sagte Ameera, »aber so glücklich wie wir können sie nicht sein. Ich glaube auch nicht, daß die weißen mem-log glücklich sind. Was, meinst du?«
    »Sie sind es gewiß nicht.«
    »Woher weißt du das?«
    »Sie überlassen ihre Kinder den Ammen.«
    »Ich habe das noch nie gesehen«, sagte Ameera mit einem tiefen Seufzer, »ich möchte es auch nie sehen. Ahi!« Sie ließ ihren Kopf auf Holdens Schulter sinken, »ich habe vierzig Sterne gezählt und bin so müde jetzt. Schau: das Kind! Es zählt auch, du Licht meines Lebens!«
    Mit runden Augen starrte das Baby in die Dunkelheit des Firmamentes hinein. Ameera legte es Holden in den Arm; es blieb dort ruhig liegen, ohne zu schreien, oder zu weinen.
    »Wie werden wir ihn nennen?« fragte sie. »Schau ihn an! Könntest du jemals müde werden, ihn anzusehen?! Er hat ganz deine Augen. Nur der Mund -«
    »Ist von dir, Liebling. Wer wüßte das besser als ich?«
    »So ein kleines Mündchen! Und doch hält es mein Herz zwischen den Lippen. Gib ihn mir wieder jetzt! So lange schon hab ich ihn nicht gehabt.«
    »Nein, laß ihn noch; er hat noch nicht angefangen zu weinen.«
    »Freilich, wenn er weint, dann gibst du ihn zurück - eh? Was ihr Männer doch für ein Volk seid! Je mehr er schreit, desto lieber hab ich ihn. Also: mein Leben, wie sollen wir ihn nennen?«
    Hilflos und fest angeschmiegt lag der kleine Körper an seines Vaters Herzen; Holden wagte kaum zu atmen, um ihm nicht wehe zu tun. Der grüne Papagei im Käfig - der gute Geist des Hauses nach der Meinung der Eingeborenen - bewegte sich auf der Stange und schüttelte schlaftrunken sein Gefieder.
    »Da haben wir die Antwort«, rief Holden. »Mian Mittu hat gesprochen! Mian Mittu, so heißt doch der Papagei in deiner - in der Sprache der Moslim - nicht wahr? - So soll auch der Namen des Kleinen sein! Wenn er soweit ist, wird er schwätzen und herumlaufen wie ein Papagei.«
    »Und mich fragst du gar nicht?« schmollte Ameera. »Wählen wir doch einen Namen, der englisch klingt, wenn auch nicht ganz. Ich bin ja seine Mutter!«
    »Dann nenn ihn Tota; das klingt noch am meisten englisch.«
    »Ay, Tota, und das heißt fast soviel wie: Papagei! Verzeih mir, mein Herr und Gebieter, das, was ich soeben vor einer Sekunde gesagt habe, aber ich dachte, er ist noch viel zu klein, um ein so schweres Gewicht wie den Namen Mian Mittu tragen zu können. Ja: Tota soll es sein - unser Tota soll er sein! Hörst du mich, Kleines? Kindchen, du bist der Tota!« Sie drückte seine Wange an die ihrige, und das Baby erwachte und begann zu weinen; die Mutter nahm es in ihren Arm, wiegte es und sang den schönen Kinderreim, der da heißt: »Are koko, Jare kokó - - -
    Krähe du! Fort mit dir, Krähe du! Baby schläft gesund.
    Wilde Pflaumen wachsen im Busch, nur ein Penny das Pfund,
    Nur ein Penny das Pfund, husch, husch - nur ein

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