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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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unbekannte Macht alles aus Hummils Gesicht fort, das es bisher zum Antlitz eines Mannes gemacht; er stand auf der Schwelle mit dem Ausdruck naivster Unschuld: er hatte sich unter der Wirkung des Morphiums zurückgeschlafen in den Zustand verängstigter Kindheit.
    »Wird er jetzt umfallen und sterben?« dachte Spurstow bei sich; setzte dann laut hinzu: »Schon recht, mein Sohn. Komm zu Bett und erzähl mir, was dich bedrückt. Gut, du hast nicht schlafen können, aber was bedeutet der übrige Unsinn?«
    »Einen Platz - einen Platz da unten«, sagte Hummil schlicht. Das Mittel wirkte offensichtlich wie Ebbe und Flut; der Ausdruck in Hummils Gesicht schwankte hin und her: ging über von zitternder, kindischer Angst in das bewußte Ausweichen des Mannes vor einer drohenden Gefahr. Je nachdem sein Bewußtsein sank oder stieg.
    »Gott im Himmel, Spurstow; ich habe mich schon seit Monaten davor gefürchtet. Es hat mir jede Nacht zur Hölle gemacht; und doch bin ich mir nicht bewußt, jemals etwas Böses getan zu haben.«
    »Bleib ruhig! Werde dir noch eine Dosis geben. Wollen mal zuerst das Albdrücken beseitigen, du unverbesserlicher Narr.«
    »Ja! Aber gib mir so viel, daß ich nicht mehr aufstehen kann. Du mußt mich in festen Schlaf versenken und nicht so halb betäuben. Man läuft dann so schwer davon!«
    »Ich weiß, ich weiß. Hab's selber erlebt. Die Symptome sind genau so, wie du sie beschreibst.«
    »Lach mich doch nicht aus, du Schuft! Ehe diese entsetzliche Schlaflosigkeit über mich kam, hab ich versucht, auf die Ellenbogen gestützt, zu ruhen. Hab mir einen Sporn ins Bett gelegt, um mich zu stechen, wenn ich zurückfiel. Schau her!«
    »Bei Gott, der Mensch ist zerstachelt wie ein Gaul! Von einer Nachtmahr geritten, die ihn verderben will. Und wir alle haben ihn für einen vernünftigen Menschen gehalten. Wie soll ich mir das deuten? Der Himmel kenne sich da aus. – Sag mal, Hummil, neigst du zu Selbstgesprächen?«
    »Ja. Bisweilen. Aber nicht, wenn ich mich fürchte; dann muß ich laufen; du nicht auch?«
    »Natürlich. Immer. Versuch mal jetzt, mir alles genau zu schildern, was dich quält, bevor ich dir die zweite Spritze gebe.«
    Hummil erzählte wohl zehn Minuten lang in gebrochenem Flüsterton, und Spurstow beobachtete dabei seine Pupillen, oder bewegte die Hand vor seinen Augen hin und her.
    Als die Schilderung zu Ende war, wurde die Morphiumspritze angesetzt, und Hummils letzte Worte lauteten, als er zum zweitenmal zurücksank: »Versenk mich in tiefen Schlaf, denn wenn es mich zu packen kriegt, dann muß ich sterben -sterben.«
    »Jawohl, das müssen wir alle früher oder später – dank dem Himmel, der unserer Leidenszeit hier auf Erden ein Ziel gesetzt hat«, brummte Spurstow und schob die Polster unter dem Kopf des Schlafenden zurecht. »Kann mir sogar gleich jetzt passieren, wenn ich nicht sofort etwas trinke. Ich schwitze nicht mehr und - fühl schon einen siebzehn Zoll breiten Kragen.« Schnell kochte er sich einen brühheißen Tee; das beste Mittel gegen Hitzschlag, wenn man drei bis vier Tassen hintereinander trinkt. Dann beobachtete er den Schläfer.
    »Hm, ein blindes Gesicht, das immer weint und sich die Tränen nicht abwischen kann? Sonderbar! Ein blindes Gesicht, das ihn die Korridore entlang jagt? Hm! Hummil muß Urlaub kriegen! So bald wie möglich. Gleichgültig, ob er bei Sinnen ist, oder nicht. Ohne Zweifel ist er furchtbar zugerichtet. Der Himmel kenne sich da aus!«
    Gegen Mittag stand Hummil auf, mit üblem Geschmack im Mund, aber die Augen klar und Freude im Herzen.
    »Bin wohl recht krank gewesen in der Nacht, was?«
    »Ich hab schon gesündere Leute gesehen. Du mußt einen Sonnenstich gehabt haben. Hör mal: wenn ich dir jetzt ein ausführliches ärztliches Zeugnis ausstelle, wirst du dann, und zwar sofort, um einen Urlaub einreichen?«
    »Nein.«
    »Warum denn nicht? Du hast's nötig!«
    »Freilich. Aber ich kann's hier schon noch aushalten, bis das Wetter kühler wird.«
    »Wozu das, wenn du doch sofort Urlaub bekommen kannst?«
    »Burkett wäre der einzige, den sie mit meiner Arbeit betrauen könnten, aber der ist ein geborener Narr.«
    »Mach dir deswegen doch keine Sorgen. Du bist gar nicht so wichtig hier. Telegrafiere um Urlaub!«
    Hummil sah sehr besorgt drein.
    »Ich kann's aushalten bis zur Regenzeit«, sagte er ausweichend.
    »Nein, du kannst es nicht. Depeschiere ins Hauptquartier um Burkett.«
    »Ausgeschlossen! Wenn du's durchaus wissen willst: Burkett ist

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