Dunkles Verhaengnis
mir wieder einmal auf, was ich so oft in meiner Zeit als Therapeut und in den Jahren danach beobachtet hatte, wie selten wir tatsächlich bewusste Entscheidungen treffen, ja, wie selten wir uns überhaupt vor eine Entscheidung gestellt sehen. So vieles ist bereits festgelegt: durch unsere DNA, das soziale Umfeld, das Klima, durch unsere Erziehung und den Einfluss der Menschen, mit denen wir zu tun haben. Und ein großer Teil des Rests ist purer Zufall – wohin die Strömung uns trägt. Wie sehr wir auch glauben oder vorgeben es zu glauben, dass wir unser eigener Herr sind, wie sehr wir es auch schönreden mit Diskussionen über das Wesen des Menschen, Bildung, Sozialisation oder Schicksal – auf mehr als auf Schönreden läuft es letzten Endes nicht hinaus.
»Was hast du also vor?«, fragte ich.
»Hey, der unsichtbare Mann! Dans la nuit tous les chats und so weiter.«
»Oder, wie Chandler sagt: ›Verschwunden sein.‹«
»Genau.«
»Es wird nicht einfach.«
»Ganz sicher nicht so einfach, wie’s früher gewesen ist. Heute gibt’s zu viele elektronische Finger, die in zu vielen Töpfen stecken. Aber ich bin doch schon immer halb durchs Raster gefallen. Ich stoß mich einfach noch ein Stückchen weiter ab. Viel wird sich nicht ändern.«
»Die werden nicht aufhören zu suchen.«
»Im Grunde haben sie das längst. Alles wandert in die Akten – Haftbefehle, Vorstrafen und so weiter. Die Akten werden bleiben. Aber nur als Geschichte, und genau so bedeutungslos.«
»Du kannst auch in die Bedeutungslosigkeit verschwinden, Eldon. Zum Geist werden. Jeden Halt verlieren.«
»Ich weiß.« Er lächelte. »Ich fühle mich schon viel leichter.«
»Sprich vorher wenigstens mit …«
»Isaiah, ja. Auf den Gedanken bin ich auch schon gekommen. Schließlich ist er ein Experte in Sachen Nischen und Schlupflöcher in der Gesellschaft.«
»Und?«
»Wir haben uns unterhalten. Ich habe einen guten Rat von ihm bekommen. Er ist ein bemerkenswerter
Mensch, John. Das sind sie alle.« Ich hatte zwei Decken aus dem Schrank geholt und ihm zugeworfen; er hatte sich auf die Couch gelegt. »Genau, mein Freund, wie du auch.« Er linste unter den Decken hervor, wie Kilroy. »Nie werde ich in Worte fassen können, wie viel mir deine Freundschaft bedeutet.«
»Das wird auch nicht nötig sein.«
Als ich am nächsten Morgen aufstand, waren Eldon und Motorrad verschwunden. Der Banjokoffer lag auf dem Küchentisch. Eldon hatte eine Nachricht auf die Rückseite einer Illustrierten gekritzelt, die ich seit inzwischen gut einem Jahr lesen wollte: Sie hat immer gesagt, dass Instrumente den Menschen nicht gehören, wir borgen sie uns nur für eine Weile aus . Ich saß vor einem Becher Kaffee und dachte daran, wie Eldon und ich uns das erste Mal begegnet waren, an dieser Raststätte, draußen an der State Road 41, als er sich geweigert hatte, sich mit dem Betrunkenen zu prügeln, der seine Gitarre zertrümmert hatte, dachte an die Musik, die er und Val zusammen gemacht hatten. Daran, wie viel ein Mensch verlieren kann, und wie viel Musik einer machen kann mit den Mitteln, die ihm noch blieben.
Zur Arbeit fuhr ich zur Begleitmusik von jeder Menge statischem Rauschen auf sämtlichen Frequenzen. Das Radio war durch das Wetter genau
so durcheinandergebracht worden wie alles andere. Schwarze und dunkelgraue Wolken hingen dicht über den Baumkronen. Es war neun, aber in dem Dämmerlicht sah es eher wie fünf aus, und während ich mich herumquälte und ins Schlingern kam, in einen niedrigeren Gang schaltete und wieder hoch, hatte ich für einen Moment das Gefühl, unter der Erde zu sein.
Kapitel Dreizehn
Auf die Fahrt folgte ein gewöhnlicher Tag, in dessen Verlauf ich, beginnend mit dem Augenblick, als ich kurz nach zehn meinen Fuß auf den Asphalt der Stadt setzte, zu tun hatte mit:
Jed Baxter, der wissen wollte, wohin zum Teufel Eldon verschwunden war;
Bürgermeister Sims, der mit Kaffee in Pappbechern vorbeikam und dann ganz beiläufig die Frage fallenließ, ob es »der Dienststelle« wohl möglich wäre, eine Leumundsprüfung über eine gewisse Miss Susan Craft aus der Gegend bei Elaine zu beantragen;
Dolly Grunwald aus dem Altersheim, die von einer ihrer Pflegerinnen vorbeigebracht wurde, die melden wollte, sie werde dort draußen vergiftet;
und schließlich Leland Luckett, der seinen glänzenden neuen Honda so vor dem Rathaus parkte, dass das Hinterteil des Bussards, der ihm in die Windschutzscheibe geflogen war, auf die Tür unseres
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