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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Büros zeigte. Er war nur so herumgefahren, als das Ding genau auf ihn zugeflogen kam, mit Schmackes direkt in die Windschutzscheibe. Wie eine verdammte Rakete,
sagte er. Es war wirklich sehenswert. Das Ding hatte ungefähr die Größe eines Truthahns und steckte so fest in der Scheibe, dass wir beide anpacken mussten, um den Vogel wieder herauszuziehen. Ich bin immer noch nicht sicher, was Leland eigentlich von mir erwartete. Irgendwann fragte ich, ob ich den verdammten Vogel, tot, wie er nun mal war, verhaften sollte, um Nachahmungstäter abzuschrecken.
    Danach ging ich über die Straße, rüber zum Diner, auf einen Kaffee und ein Stück Ach-was-soll’s-Kuchen. Die meisten Läden würden es einfach Kuchen des Tages oder ähnlich nennen, aber Jay und seiner Frau Margie war aufgefallen, wie viele Leute »Nur eine Tasse Kaffee« sagten, um dann hinzuzufügen: »Ach, was soll’s – und noch ein Stück Kuchen.« Wenig überraschend: Da alle aus den Schaufenstern auf die Straße geschaut hatten, drehten sich die meisten Unterhaltungen um Leland und seinen Bussard.
    Margie kam hinter der Theke hervor, um meine Bestellung aufzunehmen und zu fragen, ob ich etwas von Milly Bates gehört hätte. Niemandem war entgangen, wie klapprig sie auf Billys Beerdigung gewirkt hatte. Nicht nur vor Trauer, sagte Margie; es schien, als könnte man durch sie hindurchsehen. Dann waren ihre Leute heute Morgen rübergegangen, um nach ihr zu sehen, und da war sie fort. Das
Haus sperrangelweit offen, keine Nachricht, gar nichts.
    »Was ist mit dem Auto?«, fragte ich.
    »Steht in der Einfahrt. Aber das ist schon seit Wochen nicht mehr gelaufen, hat irgendwer gesagt. Der Sheriff …« Sie unterbrach sich, als sie ihren Schnitzer bemerkte, es war ihr peinlich, aber nur für mich, nicht ihretwegen. »Lonnie, meine ich – überprüft das. Kaffee?«
    »Kaffee.«
    »Und …?«
    »Nur Kaffee. Zum Mitnehmen.«
    So fuhr ich los, mit dem Kaffee im Getränkehalter auf dem Armaturenbrett. Irgendwann löste sich der Deckel, und Kaffee schwappte über, lief auf den Boden, aber ich beachtete es kaum. Ich war vollauf damit beschäftigt, die Teile eines Puzzles in meinem Kopf zusammenzufügen, Teile, die vielleicht überhaupt nichts miteinander zu tun hatten, der Tod eines verwirrten jungen Mannes, eine alte Frau, die alles verloren hatte, und jetzt Milly.
    Lonnies Wagen stand vor dem Haus, die Fahrertür offen und sein Besitzer weit und breit nicht zu sehen. Eigentlich war es das Auto seiner Frau, doch nachdem er Job und Jeep aufgegeben hatte, hatte er sich angewöhnt, den Wagen seiner Frau »auszuleihen«.
Nach fast einem Jahr hatte Shirley die Nase voll und war losgezogen, ohne ihm auch nur ein Wort zu sagen, und hatte genau den gleichen noch einmal gekauft. Auch die Haustür stand offen. Im Inneren schossen Fliegen hin und her wie winzige Marschflugkörper, und ich folgte ihnen in die Küche, wo ein Tisch voller Lebensmittel, die von Nachbarn und Freunden gebracht worden waren – ein Brathähnchen, Aufläufe, Scheiben Schinken, Brötchen, Kuchen – größtenteils unangetastet geblieben war. Die Kaffeemaschine war noch an, in der Kanne ein paar Zentimeter hoch Kaffee, der wie eine Ölpfütze aussah; ich schaltete das Gerät aus. Auf dem Kühlschrank daneben befand sich eine Einkaufsliste, Rabattcoupons, eine magnetische Puppe umgeben von Kleidungsstücken und Accessoires, ebenfalls magnetisch, und eine alte Karte zum Valentinstag.
    Lonnie sprach mich von irgendwo hinter meinem Rücken an. »Milly und ich, wir haben uns nicht häufig gesehen.«
    Das Leben in einer Stadt von dieser Größe bringt es mit sich, dass man ziemlich genau weiß, was zwischen den Leuten abgeht, ohne dass man groß darüber sprechen müsste. Und wenn man ein Mann in den Fünfzigern ist und einen Freund wie Lonnie hat,
und es wird doch mal darüber gesprochen, dann tut man gut daran, den Mund zu halten.
    »Der Junge hatte ein schweres Leben«, fuhr Lonnie fort. »Ich will damit nichts entschuldigen, und ich weiß, dass er eine Menge davon sich selbst zuzuschreiben hat. Aber ihm ist nie etwas in den Schoß gefallen, und man konnte sich wirklich fragen, warum er nie aufgegeben hat.«
    Genau das hatte ich mich schon immer gefragt, aber nicht nur, was Billy anging.
    »Milly hat ihn geheiratet, sie hat die Sorgen, Billys Sorgen, zu ihren gemacht. Und jetzt …« Er starrte die Fliegen an, die brummend gegen Glasscheiben flogen, abprallten, wieder dagegen schlugen. »Was

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