Dunkles Verhaengnis
einem Eigelb oder Apfelmus aufs Hemd kleckert, und nicht mal entscheiden zu können, wann man pinkeln geht.«
Dazu hatte ich nichts zu sagen. Er kratzte den getrockneten Matsch dort neben seinem Stuhl ab und fragte nach einem Moment: »Bleibst du heute Abend wieder in der Stadt?«
»Dachte, ich fahre wieder nach Hause und sehe mal, ob’s noch da ist.«
»Vielleicht willst du was zu essen mitnehmen, Wasser, was man für den Notfall braucht. Einen einheimischen Führer.«
»Hey, ich hab den Jeep. Den du, wo ich gerade davon spreche, natürlich für dich beanspruchen kannst, jetzt, wo du wieder im Dienst bist.«
»Ich bin nicht wieder im Dienst, Turner. Ich will kein Sheriff mehr sein. Ich bin nicht sicher, ob ich
überhaupt noch irgendwas will. Außer in Ruhe gelassen zu werden.«
Nach einem Augenblick sagte ich: »Das geht wieder vorbei, Lonnie.«
»Tut es das? Meinst du?«
Am Ende tranken wir dann doch noch einen Schluck von dem Bourbon. Wie am Unfallort klopfte ich nicht die üblichen Sprüche – Alles wird gut, falls ich irgendwas tun kann –, denn so war es nicht zwischen Lonnie und mir. Stattdessen wünschten wir uns einfach eine gute Nacht. Lonnie stand auf der Veranda, reglos, und schaute mir nach, als ich fortfuhr. Das Licht im Haus war bereits aus.
Meine Fahrt zurück zur Blockhütte war die reinste Ochsentour, Dokumentarfilm-würdig, inklusive reißerischer Atmo-Einstellungen bedrohlich aufragender schwarzer Berge über den winzigen Scheinwerfern des Jeeps und einem Zeitraffer, wie das unglückselige Fahrzeug heimtückische Schlammlawinen passierte, aber am Ende schaffte ich es. Ich musste an die Siedler denken, die sich zum ersten Mal einen Weg in dieses Land bahnten, wie hart, wie gottverdammt aussichtslos das alles gewesen war. Noch zur Zeit meines Großvaters hatten sich die meisten Menschen, wie Vögel, nie weit von ihrem
Nest getrennt; eine Reise von hundert Meilen war ein wahres Abenteuer.
Als ich um die Biegung des Sees kam, sah ich die schemenhafte Gestalt auf meiner Veranda sitzen.
»Bist du zu Fuß gekommen?«, fragte ich wenige Minuten später. Hinter mir knackte Metall, als der Motor des Jeeps abkühlte. Offensichtlich war das heute der Tag der Verandagespräche.
»Geschliddert trifft’s wohl eher.«
»Sieht aus, als hättest du den halben Berg mitgebracht.«
Eldon zog die Schuhe aus, trampelte ein paarmal mit den Füßen fest auf den Boden der Veranda, und wir gingen hinein. Ich zeigte auf seine Schuhe, und als er sie mir gab, warf ich sie ins Spülbecken. Schenkte mir einen ordentlichen Schluck aus der Flasche auf der Arbeitsfläche ein und sah ihn fragend an. Er nickte, also holte ich ein zweites Glas. Ich hörte ein Stöhnen, das tief anfing und immer höher wurde, warf einen Blick nach draußen und sah Baumäste in Bewegung: Der Wind frischte wieder auf.
»Wie sieht’s oben im Camp aus?«, fragte ich.
»Hätte schlimmer kommen können. Ein paar kleine Verletzungen, zerbrochene Fensterscheiben. Ungefähr die halbe Lagerhütte ist von einem entwurzelten Baum plattgemacht worden. Ein Großteil der
Vorräte, die Mehlsäcke und so weiter, sind höchstwahrscheinlich hin.«
»Aber es geht allen gut.«
»Die sind zäh da oben. Da muss schon mehr kommen als ein Sturm, um die aus dem Gleichgewicht zu bringen.«
Ich riss mich gewaltsam aus meinen Gedanken, wie ich die Gruppe kennengelernt hatte, was sie bereits alles durchgemacht hatten, sowohl individuell als auch gemeinsam, und fragte: »Wartest du schon lange?«
»Nicht sehr lange. Man verliert hier leicht das Zeitgefühl. Paar Stunden, schätze ich.«
»Dann wirst du hungrig sein.«
Ich holte Brot, geschnittenen Schinken, eingelegte Gurken, Senf und Meerrettich aus dem Kühlschrank und machte uns beiden ein paar Sandwiches. Eldon hatte seines in drei Happen verputzt. Dann schnappte er sich die Flasche von der Arbeitsfläche und schenkte uns ein.
»Ich bin gekommen, weil …«
»Ich weiß.«
Er sah mich an, völlig ruhig und nicht über die Maßen überrascht, aber mit einem Fragezeichen.
»Gibt keinen anderen Grund, warum du hier sein solltest.«
Er nickte. »Ich kann nicht zurückgehen, John. Mein Kopf sagt mir, ich sollte, ich weiß, dass es das Klügste wäre, die einzige richtige Lösung. Aber irgendwas in mir, etwas, das genauso stark ist wie all die Logik und der gesunde Menschenverstand, schreit allein bei der Vorstellung schon Nein !«
Wie so oft in meiner Zeit als Therapeut und in den Jahren danach, fiel
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