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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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aller Fahrzeuge im County passen.«
    »Nicht unser erstes Rodeo, was?« Er ging auf die Veranda, um sich eine Zigarette anzustecken. Hier draußen war der Boden verdammt morsch; jeder Schritt war ein Glaubensakt. Von darunter blickten drei neugeborene Kätzchen zu den riesigen Leibern
auf, die über ihren Himmel zogen. »Die Frau lebt seit zig Jahren hier, ist nie jemandem zur Last gefallen, man sollte meinen, sie hätte ein Recht darauf, wenigstens in Ruhe gelassen zu werden. Aber solche Sachen passieren inzwischen immer häufiger.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Und das ist erst der Anfang. In unseren Städten wird es immer enger, immer weniger Geld ist in Umlauf, Jobs sind kaum noch zu finden – das wird auf keinen Fall aufhören.«
    Wir standen da, als der Krankenwagen losfuhr. Ich sah zu den Kätzchen hinunter und hoffte, dass ihre Mutter nicht die Katze war, die ich tot und auf die doppelte Größe aufgebläht auf dem Herweg am Straßenrand gesehen hatte.
    »Was meinen Sie, haben die nach Geld gesucht?«, fragte Haskell.
    »Gesucht haben sie auf jeden Fall.«
    Er stieg von der Veranda herunter, um seine Zigarette auf dem nackten Boden auszutreten. »Jugendliche …«
    »Vielleicht auch nicht.«
    Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Es gab keinen konkreten Grund zu glauben, dass etwas anderes im Spiel war. Nur so ein Gefühl. Vielleicht hatte ich eine vage Vorahnung – weil Billy hier oben gewesen
war und dann nach so langer Zeit zurück in die Stadt kam, die Sache mit seinem Unfall, und schließlich die alte Dame hier –, dass sich alles irgendwie zusammenzufügen begann. Oder wie mein Großvater gesagt hätte: zu viele Säue am Trog.
    Oder vielleicht lag’s auch nur daran, dass ich im Grund meines Herzens hoffte, alles, was uns zustößt, habe auch einen Sinn.

Kapitel Zwölf
    Der größte Teil der Stadt, was noch von der Stadt übrig war, kam zu Billys Beerdigung. Bürgermeister Sims hielt eine Grabrede, die einen neuen Rekord aufgestellt haben dürfte für die meisten Klischees in maximal drei Minuten, Bruder Davis betete, predigte, schritt, bald mit einer, bald mit beiden Händen in der Luft, auf und ab, und gegen Ende ließ Doc Oldham einen Furz krachen, der die Leute in den Kirchenbänken zusammenzucken ließ; als sie sich zu ihm umdrehten, drehte er sich selbst um und starrte missbilligend die Witwe Trachtenburg an, die neben ihm saß.
    Die ganze Zeit saß Lonnie steif in seinem dunkelbraunen Anzug da, als wäre der sein einziger Halt. June schaute immer wieder zur Decke auf und senkte den Blick auf den Boden, überallhin, nur nicht ihrem Vater oder sonst jemandem in die Augen.
    Es hatte einen weiteren Wolkenbruch gegeben, diesmal allerdings völlig undramatisch, aber der Friedhof außerhalb der Stadt stand trotzdem unter Wasser, Sargträger rutschten auf dem nassen Gras aus, Klappstühle versanken im Matsch.

    Den Nachmittag verbrachte ich mit Lonnie und der Familie. Begrüßte Besucher, schenkte literweise Limonade und Eistee aus, half beim Aufräumen, nachdem auch noch die Letzten sich irgendwann auf die Veranda zurückzogen und schließlich aufgebrochen waren.
    Hinterher saßen Lonnie und ich auf der Veranda. Er hatte eine Flasche Bourbon mit nach draußen genommen, aber keinem von uns war eigentlich danach. Er starrte auf den Rauspundboden, den zu verlegen wir im Sommer zuvor fast eine Woche gebraucht hatten.
    »Ziemlicher Saustall hier draußen«, sagte er.
    »Drinnen auch.« Die Leute hatten so viel Matsch vom Friedhof mitgebracht, der Boden der Veranda hätte genauso gut gestampfter Lehm sein können. Lonnie trug immer noch seinen Anzug. Der sah auch nicht viel frischer aus als er.
    Er fragte, ob ich was Neues von der alten Dame gehört hätte, Miss Chorley, die sich auf dem Weg der Besserung befand, wie es aussah, aber wohl in einem Pflegeheim landen würde.
    »Sie hat ihr ganzes Leben da draußen, in diesem Haus gelebt«, sagte er, »und jetzt steckt man sie in so eine Einrichtung, setzt sie vor einen Fernseher, bringt ihr am Nachmittag Tee und Kekse und schnalzt vorwurfsvoll
mit der Zunge, sobald sie sich beschwert. Sie hat keine Familie, also geht das Haus am Ende in den Besitz des Countys über.«
    Wieder senkte er den Blick.
    »Das ist einfach nicht in Ordnung, Turner. Wenn ein Mensch auch nur sein durchschnittliches Leben auf dieser Erde lebt, und erst recht, wenn er alt wird – dann hat er was Besseres verdient. Was Besseres, als in einem grell erleuchteten Raum zu sitzen, während

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