Dunkles Verhaengnis
jetzt?«
»Bist du sicher, dass du hier draußen sein willst, Lonnie? Solltest du jetzt nicht besser zu Hause bei Shirley sein?«
»Zu viel Stille in diesem Haus, Turner. Zu viel …« Er schüttelte den Kopf. »Einfach zu viel.«
Im Verlauf meines Lebens sind mir Hunderte von Menschen begegnet, deren Leben erstarrt war – weil sie mit zu hohen Erwartungen losgezogen waren, weil die Trauer sie überwältigt hatte oder aufgrund körperlicher Verletzungen; am Ende macht es keinen großen Unterschied. Auf genau diesen Punkt steuerte
auch Lonnie zu. Aber er war noch nicht ganz dort angekommen.
»Fußabdrücke hinter dem Haus«, sagte er. »Zwei, drei Männer. Im Matsch ausgetretene Zigarettenstummel.«
»Als wären sie eine ganze Weile dort gewesen.«
»Könnten einfach nur Freunde sein … Was immer es vor dem Haus an Spuren gab, ist größtenteils verschwunden, durch den Regen. Hab mich trotzdem hinter dem Haus umgesehen. Alte Sojabohnenfelder, eine ziemliche Fläche. Und jemand ist erst kürzlich dort draußen gewesen, mit etwas, das aussieht wie ein Kleintransporter, vielleicht ein Pick-up.«
»Keine Hinweise auf eine Suche, nehme ich an.«
»Schwer zu sagen. Milly hat das Haus nicht sonderlich gut in Schuss gehalten. Das Aufheben von Cheetos-Tüten und das Abwischen der Arbeitsflächen mit einem feuchten Lappen beschreibt so ungefähr den Umfang ihrer Mühen. Schubladen und Schranktüren geöffnet, Kleidungsstücke liegen gelassen, wohin sie fielen – das Übliche.«
»Apropos …«
»Kleidungsstücke? Können wir nicht beurteilen. Und es gibt niemanden, der ihr nahe genug gestanden hat, um uns das sagen zu können.«
»Also haben wir außer ein paar Reifenspuren und
mehreren Zigarettenkippen, die, so weit wir wissen, durchaus auch von einem Freund zurückgelassen worden sein können, keinerlei Hinweis darauf, dass hier irgendetwas fehlt. Durchaus möglich, dass sie einfach ihren Kram gepackt hat und gegangen ist.«
»Ohne ein Wort? Wo ihre gesamte Familie momentan hier ist?«
»Menschen unter Stress planen nicht voraus, Lonnie. Sie geraten in Panik, sie stabilisieren sich auf niedrigem Niveau. Sie geraten in Panik. Sie flippen aus. Sie laufen weg.«
»Wie Billy.«
»Wie wir alle, an dem einen oder anderen Punkt in unserem Leben.«
»Wohl wahr.« Er trat an den Küchentisch, zog die klare Plastikfolie von einem Kuchen mit weißer Glasur. Sofort stürzten sich Fliegen darauf – wie es schien, aus dem ganzen Haus. »Im Bad. Dort steht ein Fläschchen mit einem Antidepressivum, erst kürzlich nachgefüllt, und auf dem Tisch dort ein Diaphragma. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie so etwas zurücklässt?«
Wir gingen das Haus Zimmer für Zimmer durch. Keine Spur von einer Handtasche oder Brieftasche. Es gab zwei Koffer, die als Set gekauft und nie benutzt worden waren, ein kleiner steckte immer noch
in dem größeren, in einem Schrank. Im Nachttischchen fanden wir das Scheckbuch, nie saldiert, und daneben, zwischen einer Bibel, alten Kugelschreibern und durchgekauten Bleistiften, Q-tips und Haarnadeln fanden wir einen Karton, der bis vor kurzem eine Handfeuerwaffe beherbergt hatte.
Kapitel Vierzehn
Ich sah Eldon nie wieder.
So viele Menschen treten in unser Leben, werden wichtig, und sind dann einfach weg.
Damals auf dem College, bevor der Staat mir nahelegte, meine bequemen Halbschuhe gegen Dschungelstiefel zu vertauschen, die schon am ersten Tag zu verrotten anfingen, hatte ich einen Astronomieprofessor, der menschliche Beziehungen mit Doppelsternen verglich, die einander endlos umkreisten – für immer getrennt und doch Materie austauschend. Dr. Rob Penny neigte zu fantasiereichen Erklärungen dieser Art, mit denen er einen Hörsaal voller Erstsemester, die nur dort waren, weil der Astronomie – Schein locker zu bekommen war, amüsierte und zugleich in Verlegenheit brachte. Planetenbahnen, Fraktale und Sternsysteme, Eklipsen – alles vorgetragen mit seinem ganz eigenen Hang zur Vermenschlichung der Natur. Neugierig, wie ich damals schon war, wenn es um das Leben anderer Leute ging, dachte ich häufig über Dr. Pennys eigene Beziehungen nach.
Lonnie hatte dem Hauptquartier der State Police einen Besuch abgestattet und zweckentfremdete jetzt deren Mittel, um alles in seiner Macht Stehende zu tun, Milly aufzutreiben. June war mit einer Handvoll Leuten aus der Stadt oben in der Kolonie (unter ihnen auch, zur allgemeinen Verwunderung, Bruder Davis), half beim Wiederaufbau. Und ich saß am
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