Dunkles Verhaengnis
machen einfach nur weiter.
Und einige von uns, einige wenige Selbst-Erwählte, machen sich daran, herauszufinden, wie viel Musik man machen kann, mit den Mitteln, die einem noch bleiben.
In meinem Traum in dieser Nacht konnte ich die Stadt nicht finden, in der ich lebe. Freunde und Familie warteten auf mich, das wusste ich, und ich hatte mich bereits Stunden zuvor auf den Heimweg gemacht, verlief mich aber irgendwie immer wieder. Teile der Stadt, manche Straßen und Gebäude, kamen mir bekannt vor, andere wieder nicht, und ich war immer ganz in der Nähe, immer fast zu Hause, kam aber doch nie an. Gelegentlich konnte ich in der Ferne einen flüchtigen Blick aufs Meer werfen, auf Hochhäuser, auf Raketensilos und Getreideheber,
auf Wolken und den sich verdunkelnden Himmel.
Als ich an diesem Tag aus Memphis zurückkehrte, ging ich weder nach Hause noch ins Büro. Stattdessen machte ich etwas, das ich schon lange immer wieder aufgeschoben hatte.
Das Haus hatte seit dem Tag leergestanden, an dem Val starb. Ich sagte mir immer wieder, ich müsse mal rübergehen, und hatte es mir fest vorgenommen, aber da war immer noch eine Tour mit dem Jeep durch die Stadt, die ich unbedingt vorher machen musste, oder Büroarbeit, um die ich mich kümmern musste, oder eine weitere Tasse Kaffee, die ich im Diner trinken musste, und so kam ich nie dazu.
Von außen sah es gar nicht so sehr verändert aus, nur leer und verlassen. Ich dachte an bestimmte Gesichter – wie ich sie im Gefängnis und in meiner Praxis gesehen hatte –, Gesichter, die keinerlei Gefühlsregung zeigten. Das Wetter hatte seine Spuren an Dach und Fenstern hinterlassen, und der Stamm eines nahen Baums war der Länge nach gespalten, hatte ein halbes Zimmer auf der Rückseite zerstört. Kriechpflanzen waren bis auf die Veranda gewachsen und näherten sich der Haustür (das Wort ehrfürchtig kam mir in den Sinn).
Ich weiß nicht, was ich zu finden erwartet hatte,
außer Erinnerungen. Aber ganz sicher rechnete ich nicht damit, das zu finden, was ich dann fand. Ich benutzte den Schlüssel, den Val mir gegeben hatte, als sie plante, mit Eldon auf Tour zu gehen, trat ein und blieb unmittelbar hinter der Tür stehen. Schon bevor wir uns kennenlernten, war Val – ebenso geschickt mit Hammer und Säge wie mit dem Banjo (ihre Worte) – mit der Restaurierung des alten Hauses beschäftigt gewesen. Drei Zimmer waren praktisch fertig, was die grundlegenden Arbeiten betrifft – das Balkenwerk, die Böden, die Wände.
Es war alles so gut wie fertig.
Ich ging von Zimmer zu Zimmer: glatte Hartholzgeländer, fachmännisch angebrachte Kehlung an der Verbindungsstelle von Boden und Wand, sauber eingelegte Fliesen an den Türschwellen, Kranzprofile, geschwungen wie Vogelflügel, unter den Decken, die meisten Räume in zwei Farbtönen gestrichen, anscheinend historische Tapeten in manchen Zimmern. Es war überwältigend.
Jemand hatte hier eine Menge Zeit investiert. Jemand mit erstaunlichem Geschick. In dieser kleinen Stadt, wo jeder alles über jeden zu wissen glaubt. Wenn du hier niest, sagt Doc, brüllen die Leute vier Häuser weiter unten Gesundheit.
Val, ganz die Anwältin, hatte, wie wir nach ihrem
Tod erfuhren, ein Testament hinterlassen. Das Haus gehörte mir. Ich stand da und versuchte mir vorzustellen, wer sich wohl veranlasst fühlte, Tag für Tag hierherzukommen, Monat für Monat, um all diese Arbeiten zu verrichten, und auch, was wohl die Beweggründe dieser Person gewesen sein könnten.
Aber vielleicht hatte das hier, wie so vieles im Leben, mit rationalen Gründen gar nichts zu tun.
Dann verwandelte sich Verwirrung in Lachen über die völlige, wunderbare Verrücktheit dieser Sache. Wenn man mein Alter erreicht, glaubt man, das Leben hielt für einen nicht mehr viele Überraschungen bereit. Und hier war ich nun, im Haus meiner toten Freundin, das zu zerstören sich Zeit und Wetter alle Mühe gegeben hatten und das zurück ins Leben zu holen jemand wild entschlossen gewesen war.
Ich saß fast den ganzen Nachmittag dort, auf dem Boden, draußen auf der Veranda, draußen unter einem der Bäume, und kam aus dem Staunen nicht heraus.
Kapitel Einundzwanzig
Zurück zur Geschichte. Hier waren wir stehengeblieben. Hier nun die Fortsetzung.
Am nächsten Tag, es war kurz nach Mittag, aber entschieden zu dunkel für die Uhrzeit, sitze ich draußen vor dem Büro in einer nahezu ausgestorbenen Innenstadt. Lonnie ist in St. Louis und tut dort, was er tun zu müssen glaubt.
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