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Dunkles

Titel: Dunkles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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oder etwa nicht? Und zwar der schnellen Orientierung, denn im Auto ist man ja unterwegs und sollte sich mit dem Fahren beschäftigen, nicht mit unnützen Fragen. Das »Suhl«-Schild aber diente eindeutig der Desorientierung. Es gab keinen Zweifel, irgendein bürokratisches Prinzip stand hinter dieser Schnapsidee. Jaczek würde es kennen, gar keine Frage. Behütuns aber fragte ihn nicht. Keine Lust auf langatmige Belehrungen.
    Die 73 war voll, die Autos stauten sich, bei Baiersdorf wurde wieder gebaut. Die Fahrbahn verengt für Flüsterasphalt, oder eine Brücke verschoben. Irgendetwas bastelten die hier immer, seit Jahren schon.
    »Ein Wahnsinn, was am helllichten Tag hier alles unterwegs ist«, wunderte sich Behütuns, der am Steuer saß. Jaczek hatte nicht einmal gefragt, was sie in Erfurt wollten, doch die Bemerkung zur Verkehrsdichte jetzt war ein Fehler gewesen. Jaczek griff das Thema auf, als hätte er nur darauf gewartet, und er widmete sich ihm mit einem Ernst, der lange Ausführungen befürchten ließ. Meist war ja das Zeug, das Jaczek von sich gab, nicht uninteressant und eigentlich auch niemals dumm, doch für gewöhnlich etwas mühsam. Oder halt gar nicht passend. Doch das war jetzt nicht mehr zu ändern.
    »Weißt du, dass die Kilometerleistung je Fahrzeug allein in den letzten zehn Jahren um 10.000 Kilometer im Jahresdurchschnitt zugenommen hat? Und das bei wesentlich mehr zugelassenen Fahrzeugen?«, fragte er.
    »Hab ich gelesen, ja«, gab Behütuns lustlos zurück. Stimmte aber nicht, war gelogen. Sollte nur die drohenden Ausführungen unterbinden, möglichst schon im Keim. Gleichzeitig aber wusste Behütuns, dass es schon zu spät war, und ergab sich seinem Schicksal. Alsdann, ist wieder einmal Stoizismus angesagt. Lass laufen, Jaczek, dachte er und fragte sich: Wohin führt die Vorlesung? Wahrscheinlich in Richtung Umweltschutz, deshalb legte Behütuns schon gleich einmal vor, um es möglichst abzukürzen:
    »Da kannst du die ganzen Umweltschutzmaßnahmen der Automobilindustrie und der Politik in der Pfeife rauchen, wird alles konterkariert.« Wo hatte er denn diesen Begriff plötzlich her? Behütuns wunderte sich über sich selbst. »Absolut gesehen geht der Dreck nicht zurück, sondern wird mehr. Also die Umweltverschmutzung nimmt weiter zu.«
    Auch wenn das vielleicht richtig war – Behütuns hatte dennoch mit seiner Bemerkung falschgelegen.
    »Das meine ich gar nicht«, wandte Jaczek ein. »Geht dir das nicht auch manchmal so, dass du es komisch findest, dass wir alle so rumfahren?«
    Hä? Worauf wollte Jaczek denn hinaus?
    »Nö«, sagte Behütuns nur, kurz und abwürgend. Was hatte der Kollege vor? Überlegungen vielleicht, dass nicht die Autos sich bewegten, sondern die Welt unter ihnen, die Autos also eigentlich standen und alles nur Täuschung war? Solche Gedanken hatte Behütuns als Kind oft gehabt, war damit aber nicht wirklich weitergekommen.
    Sie hatten die Baustelle passiert, und der Verkehr entzerrte sich etwas. Der Kommissar zog auf die linke Spur und drückte aufs Gas. Vielleicht hilft das ja, dachte er insgeheim, Jaczek hat es nicht so mit schnellem Fahren. Da verkrampft er gerne. Vielleicht schweigt er ja dann?
    Denkste.
    »Ja, ras nur. Ist dir eigentlich klar, wie blöd der Mensch ist?«
    Welcher Mensch?, fragte sich Behütuns, fuhr dichter auf den Vordermann auf und setzte seinen Blinker.
    »Schau«, sagte Jaczek unbeeindruckt von dem Manöver, »es gibt kein einziges Tier, das sich so schnell macht, dass es dabei ums Leben kommt. Schmetterling, Adler, Schlange, Leopard, Affe, Spinne, Spatz, Leguan – du kannst nehmen, was du willst. Nur der kluge Mensch setzt sich in Blechkisten und rast sich zu Tode. Über 5000 jedes Jahr allein in Deutschland, 14 jeden Tag.«
    Schnecke hast du vergessen, dachte Behütuns, aber er sagte nichts, sondern fragte sich vielmehr: Und was ist dran an dieser Zahl? Die ist doch eigentlich rückläufig, oder nicht? So hatte er das abgespeichert. Rückläufig trotz mehr Verkehr. Also wird doch der Verkehr sicherer.
    Der Vordermann blieb auf der linken Spur und fuhr konstante 130. Obwohl die rechte Spur auf zwei-, dreihundert Meter hin frei war. Lehrer oder Grüner, dachte sich Behütuns, obwohl er sich selbst viel eher als Grünen denn als sonst was sah. Trotzdem war »Grüner« für ihn auch ein Schimpfwort. Für die ganzen Freudlosen und Schmalschultrigen, die Schmallippigen. Die Verkniffenen und Verbissenen. Die Immer-alles-besser-Wisser und

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