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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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grau und abgeplattet, wie ein großer gefrorener Fisch. Waska zog den Stamm auf die Straße, stellte ihn hin, klopfte und schlug den Schnee vom Stamm und bückte sich, schob die Schulter darunter und hob den Stamm mit den Händen an. Der Stamm kippte und lag auf seiner Schulter. Waska machte sich auf den Weg in die Siedlung, von Zeit zu Zeit wechselte er die Schulter. Er war schwach und ausgezehrt, darum wurde ihm schnell warm, doch die Wärme hielt nicht lange — wie spürbar das Gewicht des Stamms auch war, Waska fror. Die Dämmerung verdichtete sich zu dickem weißen Nebel, die Siedlung zündete alle gelben elektrischen Lichter an. Waska lächelte, zufrieden mit seinem Kalkül: im weißen Nebel wird er leicht unbemerkt an sein Ziel gelangen. Hier ist die umgestürzte gewaltige Lärche, der vom Raureif silbrige Stumpf, also — ins nächste Haus.
    Waska warf den Stamm an der Außentreppe ab, schlug sich mit den Handschuhen den Schnee von den Filzstiefeln und klopfte. Die Tür ging ein Stück auf und ließ Waska ein. Eine alte Frau ohne Kopfbedeckung und im aufgeknöpften Halbpelz ohne Überzug schaute Waska fragend und erschrocken an.
    »Ich bringe Ihr Holz«, sagte Waska und zog die erfrorene Gesichtshaut mit Mühe in die Falten eines Lächelns. »Ich möchte Iwan Petrowitsch sprechen.«
    Aber Iwan Petrowitsch kam schon selbst heraus, mit der Hand hob er den Türvorhang an.
    »Das ist gut«, sagte er, »wo ist es?«
    »Auf dem Hof«, sagte Waska.
    »Dann warte, wir sägen es, ich ziehe mich nur an.«
    Iwan Petrowitsch suchte lange nach den Handschuhen. Sie gingen auf die Außentreppe hinaus, hievten, klemmten den Stamm ohne Böcke zwischen die Knie und zersägten ihn. Die Säge war ungeschärft, mit schlechter Schränkung.
    »Danach kommst du rein«, sagte Iwan Petrowitsch. »Schärfst sie. Und jetzt hier die Spaltaxt... Und dann stapelst du es, aber nicht im Korridor, sondern schlepp es gleich in die Wohnung.«
    Waska war schwindlig vor Hunger, doch er hackte das gesamte Holz und schleppte es in die Wohnung.
    »Gut, das war’s«, die Frau kam unter dem Vorhang hervor. »Das war’s.«
    Aber Waska ging nicht und drückte sich an der Tür herum. Iwan Petrowitsch tauchte wieder auf.
    »Hör«, sagte er, »Brot habe ich heute keins, die ganze Suppe haben sie auch den Ferkeln gebracht, ich kann dir heute gar nichts geben. Komm nächste Woche...«
    Waska schwieg und blieb stehen.
    Iwan Petrowitsch kramte in seiner Brieftasche.
    »Hier hast du drei Rubel. Nur weil du es bist, denn für solches Holz... aber Tabak – du weißt selbst! – Tabak ist heute teuer.«
    Waska steckte den zerknitterten Schein in die Bluse und verließ das Haus. Für drei Rubel hätte er nicht mal eine Prise Machorka kaufen können.
    Er stand noch immer auf der Außentreppe. Ihm war übel vor Hunger. Die Ferkel hatten Waskas Brot und Suppe gegessen. Waska zog das grüne Scheinchen hervor und zerriß es in kleine Fetzen. Die Papierfetzen, vom Wind erfaßt, schlitterten lange über die polierte, glänzende Schneekruste. Und als die letzten Fetzen im weißen Nebel verschwunden waren, stieg Waska die Außentreppe hinunter. Leicht schwankend vor Schwäche, lief er, aber nicht nach Hause, sondern in die Siedlung hinein, er lief und lief — zu den einstöckigen, zweistöckigen, dreistöckigen Holzpalästen...
    Er betrat gleich die erste Vortreppe und zog am Türgriff. Die Tür quietschte und gab schwer nach. Waska trat in den dunklen, von einer trüben elektrischen Birne schwach beleuchteten Korridor. Er lief an den Wohnungstüren vorbei. Am Ende des Korridors war die Vorratskammer, und Waska warf sich gegen die Tür, konnte sie öffnen und trat über die Schwelle. In der Vorratskammer ständen Säcke mit Zwiebeln, vielleicht mit Salz. Waska riß einen der Säcke auf — Grütze. Wütend, wieder erhitzt, stemmte er sich mit der Schulter dagegen und wälzte den Sack zur Seite — unter den Säcken lagen gefrorene ausgeweidete Schweine. Waska schrie vor Zorn — seine Kräfte reichten nicht aus, um auch nur ein Stück von einem Tierkörper abzureißen. Doch weiter hinten lagen unter den Säcken gefrorene Ferkel, und Waska sah schon nichts anderes mehr. Er riß ein festgefrorenes Ferkel los und lief, das Ferkel im Arm wie eine Puppe, wie ein Kind, zum Ausgang. Doch aus den Zimmern kamen schon Leute, und weißer Dampf erfüllte den Korridor. Jemand schrie: »Halt!« und warf sich Waska vor die Füße. Waska hüpfte, das Ferkel fest im Arm, und rannte

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