Durch die Hölle in den Himmel (German Edition)
Zeitgenossen. Wenn ihn ein Thema interessierte, dann setzte er sich intensiv damit auseinander. Er zerpflückte alles bis ins kleinste Detail und setzte es passgenau wieder zusammen. Das Thema wurde von ihm durchleuchtet und hinterfragt bis seine Argumente auf so sicheren Füßen standen, dass kein Beinsteller mehr eine Chance fand, ihn zu Fall zu bringen. Selbst wenn seine Argumente fragwürdig waren, bastelte er sie so zurecht, dass sie jedem Angriff standhielten.
Das war Henrys Rüstzeug, wenn er sich unter Menschen begab, um sie mit seiner Unterhaltung zu malträtieren. Es war ja schon eigenartig genug, dass er immer wieder neue Opfer für seine Diskussionen fand. Das eigentlich Unglaubliche aber war, dass es unter diesen Gesprächspartnern Wiederholungsopfer gab, Gesprächspartner also, die sich immer wieder seiner verbalen Folter aussetzten.
Selbstverständlich hatte Henry einen ganz eigenen Blickwinkel, aus dem er die Welt betrachtete. Nach seinem Verständnis müssten ihm die Zuhörer auch noch dankbar dafür sein. Dankbar für die großartigen Erkenntnisse, mit deren Hilfe er ihnen die Welt erklärte.
Es gab in seinen Augen aber viel zu viele oberflächliche Ignoranten, in dieser durch und durch oberflächlichen Zeit.
Wer von Geburt an das Pech hatte, mit nur wenig Gehirn ausgestattet zu sein, hatte es ohnehin schon schwer genug, dieses traurige Etwas an Gedankengut, auch noch vor fremdem Zugriff zu schützen.
Aber genau dafür, vermutete Henry, wurden die elektronischen Medien entwickelt. Die scheinen sich von kleinen grauen Zellen zu speisen. Schon die kleinsten Geräte und Software-Programme, lutschen und saugen so lange am Hirn der Halbintelligenz, bis sie satt und deren Hersteller zufrieden gestellt sind.
Was übrig bleibt, sind ausgelutschte, hirnlose Hüllen, die sich ideal als kritiklose Konsumenten, für die nächsten Handymodelle, PC-Spiele und Fernseh-Shows eignen. Selbstständiges Denken kann für den Konsum nur hinderlich sein.
Bisher bestimmte die Größe des Gehirns den Unterschied zwischen Mensch und Tier. Wenn das menschliche Gehirn aber aus nichts weiter, als einer grauen, toten Masse besteht, so scheinen Zweifel an der Überlegenheit der Menschen inzwischen mehr als angebracht.
Was nützt mir eine riesige Festplatte, wenn sie schon mit ein wenig Datenmüll unbrauchbar gemacht wurde, dachte Henry.
Wer bewundert denn eine schöne Vase, in der sich nur kümmerliche, verfaulte Blumen befinden. Anstatt die Schönheit der Vase zu bewundern, fällt doch eher ein angewiderter Blick auf die verfaulten Pflanzen.
Henry wusste nichts mit Menschen anzufangen, die in ihrem Kopf nur noch geistige Exkremente mit sich herum trugen. Er sah ständig in leere Gesichter mit halb offenen Mündern, die nur den einen Schluss zu ließen: ihre Festplatte wurde bis auf den notwendigen Teil, den sie zum konsumieren brauchten, gelöscht.
„Wie viel Hirn braucht man wohl, um sich mit all den Klingeltönen, SMS und Flatrates auszukennen. Und sie konnten sich auch noch unterhalten; zwar nicht mehr mit dem Partner der neben ihnen saß oder ging, aber immerhin mit jemandem der sich irgendwo in der Weltgeschichte herumtrieb, aber eben auch ein Handy besaß, und den Partner an seiner Seite zu ignorieren.
Und dann gab es ja auch noch die so überaus wichtigen facebook, twitter und wie sie alle heißen mögen, bei denen man sich mit Menschen verständigt, die man nie gesehen hat, und wahrscheinlich auch niemals sehen wird. Immerhin hat man den großen Vorteil, gemütlich und sicher vorm heimischen PC zu sitzen, anstatt, wie Handynutzer, bei Wind und Wetter auf den Gehwegen Hundescheiße zu verteilen. In jedem Fall scheint Heute überaus wichtig zu sein, dass der Gesprächspartner weiter entfernt ist, als der Nebenmann oder -Frau, mit der man gerade unterwegs ist.
Henry hält das für ausgesprochen sinnvoll, allerdings nur für die Industrie der neuen Technologien.
Angenommen, ein Pärchen geht spazieren und unterhält sich wie in grauer Vorzeit miteinander. Einfach so. Von Mund zu Ohr.
Kostenlos.
Ohne vorher mit einem Internetanbieter über einen Vertrag gesprochen zu haben, gerade so, als gäbe es weder Kabel noch Funkverbindung zwischen ihnen.
Sie verständigen sich also ohne technische Hilfsmittel. So wie es seit tausenden von Jahren funktionierte. Auf die primitive Art, wie es bis ins zwanzigste Jahrhundert bestens funktionierte, vom Mund direkt ins Ohr, ohne sich mindestens ein Handy zu
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