E-Book - Geisterritter
Stu sich umdrehte. Stu war nur unerheblich größer als ein Eichhörnchen und hatte so viele Sommersprossen, dass sie kaum auf sein Gesicht passten. Außerdem war er so gesprächig, dass ich sehr dankbar dafür war, dass Angus ihm von Zeit zu Zeit einfach den Mund zuhielt. Stu hatte keine Leidenschaft für Stofftiere oder hundebedeckte Schlafanzüge. Er liebte es, seinen mageren Körper mit falschen Tattoos zu bedecken, die er sich mit wasserfesten Markern an jede erreichbare Stelle malte, obwohl Alma Popplewell sie ihm zweimal die Woche mitleidlos von der Haut schrubbte.
Die zwei taten ihr Bestes, mich aufzumuntern, aber neue Freundevertrugen sich nicht mit meiner Überzeugung, verstoßen und unglücklich zu sein. Zum Glück nahmen weder Angus noch Stu mein mürrisches Schweigen persönlich. Angus hatte selbst noch Anfälle von Heimweh, obwohl es schon sein zweites Internatsjahr war, und Stu war zu beschäftigt damit, sich in jedes halbwegs gut aussehende Mädchen auf der Schule zu verlieben, um allzu viele Gedanken an mich zu verschwenden.
Die Nacht, in der mir klar wurde, dass Heimweh meine geringste Sorge in Salisbury sein würde, war meine sechste Nacht. Angus summte im Schlaf irgendeine Hymne vor sich hin, die er für den Chor probte, und ich lag da und fragte mich wieder mal, wer zuerst nachgeben würde: meine Mutter, weil sie endlich einsah, dass ihr einziger Sohn für sie wichtiger war als ein vollbärtiger Zahnarzt, oder ich, weil ich mein bleischweres Herz leid sein und sie anbetteln würde, mich nach Hause zu holen.
Ich wollte mir gerade das Kissen über den Kopf ziehen, um Angus’ gemurmeltem Singsang zu entkommen, als ich das Schnauben der Pferde hörte. Ich erinnere mich noch, dass ich mich fragte, ob Edward Popplewell neuerdings mit dem Pferd vom Pub nach Hause kam, während ich zum Fenster tappte. Angus’ schläfriges Gesumme, unsere Kleider auf dem Boden, das kitschige Nachtlicht, das Stu auf den Schreibtisch gestellt hatte – all das bereitete mich in keiner Weise darauf vor, dass draußen in der regennassen Nacht etwas Bedrohliches warten könnte.
Aber da waren sie.
Drei Reiter, so bleich, als hätte die Nacht Schimmel angesetzt. Und sie starrten zu mir herauf.
Alles an ihnen war farblos: Umhänge, Stiefel, Handschuhe, Gürtel – und die Schwerter an ihrer Seite. Sie sahen aus wie Männer, denen die Nacht das Blut aus den Körpern gesaugt hatte. Dem Größeren hing das strähnige Haar bis auf die Schultern, und durch seinen Körper sah ich die Ziegel der Mauer, die den Garten umgab. Der neben ihm hatte ein Hamstergesicht und war ebenso wie der dritte so durchscheinend, dass der Baum hinter ihnen durch ihre Brustkörbe zu wachsen schien. Um ihre Hälse zogen sich dunkle Striemen, als hätte ihnen jemand ein stumpfes Messer über die Kehlen gezogen. Das Furchtbarste aber waren ihre Augen: Brandlöcher, angefüllt mit Mordlust. Sie brennen mir bis heute Löcher ins Herz.
Ihre Pferde waren ebenso bleich wie die Reiter, mit aschfarbenem Fell, das ihre fleischlosen Knochen wie zerschlissener Stoff bedeckte.
Ich wollte mir die Augen zuhalten, nur um die blutleeren Gesichter nicht mehr zu sehen, aber ich konnte vor Angst nicht mal die Arme heben.
»Heh, Jon. Was starrst du da draußen an?«
Ich hatte nicht mal gehört, dass Stu aus dem Bett geklettert war.
Der größte Geist zeigte mit dem knochigen Finger auf mich und sein lippenloser Mund formte eine lautlose Drohung. Ich stolperte zurück, aber Stu schob sich an mir vorbei und presste die Nase gegen die Fensterscheibe.
»Nichts!«, stellte er enttäuscht fest. »Nichts zu sehen!«
»Lass ihn in Ruhe, Stu!«, murmelte Angus verschlafen. »Wahrscheinlich schlafwandelt er. Schlafwandler werden verrückt, wenn du mit ihnen sprichst.«
»Schlafwandler? Seid ihr blind?« In meiner Panik wurde ich so laut, dass Stu einen besorgten Blick zur Tür warf. Aber die Popplewells hatten einen festen Schlaf.
Der Geist mit dem Hamstergesicht grinste. Sein Mund war ein klaffender Schlitz in seinem fahlen Gesicht. Dann zog er langsam, ganz langsam sein Schwert. Blut begann, von der Klinge zu triefen, und ich fühlte einen so scharfen Schmerz in der Brust, dass ich nach Atem rang. Ich fiel auf die Knie und kauerte mich zitternd unters Fensterbrett.
Ich erinnere mich heute noch an die Angst. Ich werde mich immer erinnern.
»Verdammt, Jon. Leg dich wieder schlafen!« Stu stolperte zu seinem Bett zurück. »Da draußen ist nichts außer ein paar
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