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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Michaelis
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Ensemble der Figuren, für etwas anderes? Hatten sie – zusätzlich zur Abbildung der Natur – einen sakralen Gehalt, durch den das Gemälde eine andere Bedeutung bekommt? Denn so realistisch die Tiere an der Höhlenwand auch wirken – die Abbildungen sind Zeichen für etwas, das mehr umfasste als die Bisons und Mammuts, die wir heute sehen. Die Tiere stehen nicht ausschließlich für ihre Artgenossen, die vom Menschen gejagt und verzehrt wurden oder die ihrerseits die Menschen bedrohten. In keiner der über 400 Abbildungen an den Höhlenwänden findet sich ein einziger Hinweis auf die alltägliche Bedeutung, welche diese Tiere für die Jäger und Sammler der Steinzeit hatten.
    Die Künstler haben Symbole geschaffen, die mit ihrer Analogie zwischen der realen Welt und dem mythischen Kosmos das Denken des frühen Homo sapiens prägten. In der Höhle von Chauvet entstand – noch lange vor der Erfindung des Schreibens – ein erstes Buch, in das die Menschen ihre Zeichen, die ihnen eine Welt bedeuteten, eintrugen. Ihr Papier war der blanke Stein, ihre Druckerschwärze waren Holzkohle und beige sowie rote Ockerfarbe.
    Abbildungen von Menschen finden sich dort keine – bis auf den Unterkörper der Frau. Allerdings waren die Menschen doch in ihren Abbildungen präsent – als Schatten, die sich unter die Tiergruppen mischten, wenn das Licht der Fackeln in der Höhle flackernde und flüchtige Abbilder von ihnen erschuf. Während in Platons Höhlengleichnis, das im siebten Kapitel genauer dargestellt wird, die Höhle mit den Schatten von Figuren an der Wand für die fortwährende Täuschung des Menschen steht, der statt der eigentlichen Idee oder Form stets nur ein Abbild erhält, sind die Höhlen mit den Malereien der Steinzeitmenschen ein erster Versuch des Homo sapiens, erkennend aus seiner Welt herauszutreten und eigene Ausdrucksformen zu entwickeln.
    Seine Anwesenheit hat der Steinzeitmensch in der Höhle von Chauvet mit einem Ausdrucksmittel verewigt, das auch in anderen Höhlenmalereien aus dieser Zeit zur Anwendung kam: dem Abdruck einer Hand. Diese wurde entweder direkt mit Farbe versehen und dann an die Wand gedrückt. So entstand der positive Abdruck einer Hand. Oder aber die Hand wurde mit Farbe umrandet, was einen Umriss, einen negativen Abdruck, ergab. Zeichen der positiven und der negativen Handabdrücke signalisierten, dass Menschen den Raum eingenommen hatten.
    Forscher vermuten, dass die Höhle samt Malereien als Ort für Kulthandlungen und Initiationsriten gedient haben könnte. Dafür spricht unter anderem ein großer Bärenschädel, der auf einem steinernen Podest – wie auf einem Altar – in der Mitte eines großen Raums der Höhle thront. Allerdings gab es für erste Spekulationen, es könne sich um einen Bärenkult gehandelt haben, keinerlei Anhaltspunkte. Fest steht nur, dass die Entdecker der zuvor verschlossenen Höhle den Bärenschädel an besonders gut sichtbarer Position auf dem rechteckigen Felsen fanden. Doch über Jahrtausende hielten sich nicht nur Menschen, sondern auch Bären in dieser Höhle auf. Sie diente übrigens nicht als Behausung für den Homo sapiens, sonst hätte man diverse Überreste auf dem Höhlenboden gefunden. Die zahlreichen Bärenknochen und -skelette legen die Vermutung nahe, dass die Höhle von Chauvet – wie zahlreiche andere Höhlen in der Steinzeit auch – den Höhlenbären als Aufenthaltsort für den obligatorischen Winterschlaf diente. In dieser Ruhezeit kam es ab und an vor, dass ein Bär starb. So sammelten sich über die Jahrtausende einige Skelette auf dem Boden der Höhle an.
    Die Abbildungen in der Bärenhöhle waren – soweit uns bekannt ist – die ersten Darstellungen von Menschenhand. Ihre Erschaffer kannten noch keine Schrift mit Zeichen oder Buchstaben. Doch sie bildeten über Jahrtausende ab, was ihnen wichtig war. Sie malten Bilder an die Wände und hinterließen sie so den späteren Generationen. Und die Nachgeborenen ergänzten neue Figuren. In einer weitaus späteren Zeit nahm ein Maler das Motiv seines längst verstorbenen Vorfahren auf und doppelte es. So entstanden sich überlappende Figuren von Tieren mit einem zeitlichen Unterschied von etwa 5.000 Jahren. Und alle, die die Höhle betraten, sahen die Abbildungen.
    Die bildlichen Darstellungen in der Höhle von Chauvet haben auf dem Trägermaterial Stein die Zeit überdauert. Allerdings konnten die Inhalte nicht dupliziert und nicht transportiert werden. Wir finden aber in der Höhle

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