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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Michaelis
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Bedeutung der Figuren und der Schlacht erschließt sich nicht aus dem Fries selbst, sondern aus der schriftlichen Überlieferung der griechischen Mythologie. Sie liefert den Schlüssel, um den Abbildungen einen bestimmten Sinn zu geben. Ohne die Überlieferung würden wir nur mehrere Menschen sehen, die miteinander kämpfen. Wir wüssten nicht, dass es sich um eine Schlacht um die Vorherrschaft im Olymp handelt. Die Gestalten wären für uns keine Abbildungen von griechischen Göttern und Titanen, sondern nur von einfachen, kämpfenden Menschen. Die Frau mit dem Bogen wäre nicht Artemis, die Göttin der Jagd. Und der Mann etwas entfernt von ihr nicht ihr Bruder Apollo, dem die Griechen das Orakel von Delphi weihten. Hätten wir nur den Fries, dann würden wir statt des Kontextes der überlieferten altgriechischen Mythen unsere eigene Vorstellungswelt nutzen. Doch wie bei den Höhlenbildern auch wären wir immer noch fasziniert von der Anmut des Dargestellten. Auch wenn der kulturelle Gehalt der Abbildungen unverständlich ist, bleibt das Erstaunen über die gelungene Wiedergabe von Figuren und Bewegung, über den Ausdruck der tierischen und menschlichen Gesichter und Gestalten. Die bildhafte Darstellung spricht uns im Unterschied zum reinen Text direkt an, da wir keine Zeichen entziffern müssen, um die Bedeutung zu verstehen.
    Die Darstellungen in der Grotte von Chauvet – wie auch in den anderen Höhlen mit steinzeitlichen Malereien – sind erste Schriften. Sie bedienen sich anderer Zeichen als die später gebräuchlichen Silben- und Alphabetschriften. Sicherlich ließ sich mit Hilfe der Tier- und Handzeichen weniger darstellen als mit den umfassenden und variablen späteren Formen. Aber es waren schriftliche Kommunikationsmittel, erste Symbole, die in einen sozialen Kontext eingebunden waren.
    Dieser Hang zum Symbol ließ die Menschen nicht mehr los. Ganz im Gegenteil: Sie bauten dieses Ausdrucksmittel dauerhaft aus, gaben es von Generation zu Generation weiter und gelangten immer wieder zu entscheidenden Neuerungen. Mit den Höhlenmalereien begegnen uns die ersten von menschlicher Hand geschaffenen Bilderwelten. Auch wenn bei der weiteren Entwicklung der Schrift zunehmend auf andere Symbole gesetzt wurde – auf Silben und schließlich auf Buchstaben, die vielfältige Kombinationen und damit sinnhafte Worte ermöglichen –, bleiben die Bilder doch als Nebenschauplatz präsent. Ein Beispiel dafür ist der oben erwähnte Pergamon-Altar aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. In den Darstellungen der antiken Götter finden wir eine Bildersprache, in der christlichen Ikonographie mit ihren Wand- und Altarbildern sowie kunstvollen Szenen auf Fensterglas Jahrhunderte später eine weitere. Die Bilderwelten setzten sich auch in der Fotografie des 19. Jahrhunderts sowie in Film und Fernsehen des 20. Jahrhunderts fort. Spätere Bildmedien entstanden dabei immer parallel zu dem Medium, welches das Buch und auch das E-Book erst möglich machte – die Schrift, die es zunächst mit konkreten und abstrakten Zeichen, dann mit Silben und schließlich mit Buchstaben und den daraus gebildeten Wörtern und Sätzen den Menschen ermöglichte, ihre Güter, Geschichten und Gedanken zu notieren.

6  Zeichensprache
    Jahrtausende nach den Höhlenmalereien in Südfrankreich wurde das erste Wort in Ton geritzt. Es gibt verschiedene Vorschläge, an welchem Ort dies geschah. War es im alten Ägypten? Oder in Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak? Oder doch in Südeuropa? Und was ist mit Indien und China? Am wahrscheinlichsten ist, dass sich die erste Schrift in Mesopotamien bei den Sumerern herausbildete und kurz darauf in Ägypten eine weitere Schrift entstand. Doch warum entschieden sich die Menschen überhaupt, zusätzlich zum gesprochenen Wort auch Schriftzeichen einzuführen?
    Dort, wo vor rund 5.000 Jahren in der mesopotamischen Stadt Uruk die Vorläufer unserer Schrift entstanden, stehen heute nur noch ein paar Ruinen in der Wüste nördlich von Basra, nördlich vom Persischen Golf. Die heutigen Überreste der Stadt sind etwa 20 Kilometer vom Euphrat entfernt. Das antike Uruk hingegen lag direkt an den Ufern des Flusses und war eine der ersten großen Städte der Welt. Die Menschen hatten um 10.000 v. Chr. das Nomadenleben nach und nach aufgegeben und begonnen, sich in Siedlungen niederzulassen. Aus Nomaden wurden Bauern und Handwerker, die ihre Fähigkeiten dem neuen sesshaften Leben

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