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e-Motion

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Titel: e-Motion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Orloff
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einen hellblauen Polyesteranzug gezwängter Mann warf mit Reis nach uns und wünschte uns ein „Frohes Neues Jahr!“, während Elvis zu seinem schnulzigen „Love Me Tender“ anhob.
    „Na los, küss die Braut“, rief Earlene und nickte uns aufmunternd zu. Darauf zog Johnny Acid mich eng an sich und drückte mir einen fetten Kuss direkt auf die Lippen. In diesem Moment begriff ich, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte.
    Ich hatte Johnny Acid geheiratet, weil meine Mutter ihn verabscheute. Mein Vater hingegen meinte weise, er sei „eine Phase“. Aber meine Mutter hasste ihn. Hasste ihn so sehr, dass sie mir erzählte, sie hätte zehn Pfund abgenommen und ihre Dosis Valium verdoppeln müssen, seitdem ich mit ihm ausging. Dadurch wurde mir Johnny kostbarer als jeder Diamant.
    Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, was meine Mutter eigentlich am meisten abgestoßen hatte. Ob es die Tatsache war, dass er und seine Band
Dog Vomit
kein Geld verdienten und alle zusammen in einer Ein-Zimmer-Wohnung mit dem Bad eine halbe Treppe runter in der Nähe vom St. Mark’s Place hausten, in dem die Kakerlaken so groß waren, dass man sie hätte satteln und Rodeo auf ihnen reiten können. Johnnys weiß gebleichter Irokesenschnitt. Dass er seine linke Wange gepierct hatte und ein Hundehalsband trug. Eine Lederjacke. Seine Arbeiterboots mit den Ketten.
    Ich hatte mir eingeredet, ich würde über all das hinwegsehen. Ich sah John DeAngelo, den netten Jungen aus Brooklyn. Ich kannte ihn, bevor er seinen Namen änderte, die Spikes trug und sich piercen ließ. Und tatsächlich war er ein begnadeter Musiker und ein brillanter Poet. Seine Texte waren, sofern man sie hinter den schrillen Gitarrenklängen und Schreien der Groupies erkennen konnten, wahre Kunst. Ich sagte mir, dass ich seine Art der Kunst liebte. In Wahrheit aber liebte ich Johnny Acids Schwanz.
    Johnny Acid war begnadet. Sehr begnadet. Und er hat meine kleine Welt erschüttert. Unter seiner punkigen Frisur verbarg sich ein unverwechselbares Gesicht. Er hatte ein Gesicht, das Michelangelo gemalt haben könnte. Und ich hatte geglaubt, dass ich ihn liebte. Ich liebte die Art, wie er sang, und mir das Gefühl gab, ich wäre die Einzige im Raum. Ich liebte es, dass er Lieder für mich schrieb. Ich liebte es, wie er sich auf der Bühne bewegte. Er war Sex pur.
    Ich hatte ihn auf einer Literaturveranstaltung getroffen, auf die er mit einem befreundeten Autor hineingeplatzt war. Wir redeten. Der Funke sprang über. Wir verabredeten uns zum Essen am nächsten Tag. Aber nach der Lesung kam er in mein Apartment, und wir schliefen miteinander. Nur dass man es so nicht nennen konnte, es war zügelloser. Er verschlang mich. Er zog mich zu sich, es zog mich
in ihn
. Wir verschmolzen miteinander. Diese Nacht war blinde Leidenschaft, ekstatisches in den Kissen Hin- und Herwälzen, sich in die Haare greifen und über den Rücken kratzen. Danach hatte er mich am Haken. Johnny Acid war meine Liebesdroge, und wir schliefen, inklusive der Quickies in meiner Mittagspause, mindestens dreimal täglich miteinander.
    Sicher. Wir gaben ein ausgesprochen merkwürdiges Paar ab: Ich, das Mädchen, das im Samtkleid zum Weihnachtsfest kommt, geschmückt mit den Diamantohrringen, die mein Vater mir einst geschenkt hatte. Und Johnny mit einer Christbaumkugel am Ohr und in einem T-Shirt, auf dem Santa Claus einem Vogel hinterherjagt, der zwitschert: „Scheiß auf Weihnachten!“
    Aber ich habe ihn geliebt. Das dachte ich wenigstens, und zwar in umgekehrtem Verhältnis zu dem Hass, den ich gegenüber meiner Mutter empfand. Je mehr Valium sie schluckte, desto häufiger rief ich sie an und begeisterte sie mit Geschichten, wo Johnnys neuestes Tattoo saß und was es bedeutete. Eine glücklichere Beziehung hätte ich mir nicht vorstellen können.
    Und dann hatte Johnny mich gefragt, ob ich ihn heiraten wollte. Ich war völlig schockiert, aber er kam mit einem echten Ring bei mir an. Kein Diamantring, aber doch ein schmaler Goldreif mit den eingravierten Buchstaben „MPDIJTVW“, was so viel hieß wie: Meiner Prinzessin, die ich jeden Tag vögeln will. Das war so eine Art privater Joke zwischen uns. Ich denke, Sie hätten dabei sein müssen, um ihn zu verstehen. Ich sah den Ring an, und dann meinen lieben, süßen Johnny. Und ich höre noch heute das Wort, das meinen Lippen entfuhr.
    „Ja.“
    Er zog mich an sich. Wir schliefen miteinander. Ich spürte, wie mein Herz raste, und redete mir ein, es sei der

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