e-Motion
sie.
Michael
In der Stille des Zimmers, den Geruch von Jasmin in der Nase, der vom Garten heraufwehte und sich mit der salzigen Luft und dem Feuer und dem Aroma der Saucen aus Marias Küche vermischte, spürte ich, wie sich – von weit her und nicht willkommen – meine Augen mit Tränen füllten. Ich konnte ihm nicht antworten. Noch nicht. Donald Seale, ein schlechtes episches Gedicht, Lou O’Connors finanzielle Probleme, die Totenwache meiner Mutter … das Geschwür, das sich in mir bildete … und ein wunderbar Mann in London schlossen sich sämtlichst gegen mich zusammen, um mich in den totalen Wahnsinn zu treiben.
13. KAPITEL
I n einer samtenen Truhe werde ich mich bekennen
still
versunken
meine Hostie erwarten
Zunge nach oben gepresst
suche ich dich
für mich
für alle Ewigkeit.
Die letzten Riten werden vollzogen
voller Pein
geölte Kreuze
sprechen vom Tod
flüstern vom Samt
nutzlose Kreuze
unerfüllte Versprechen
an der Wand.
Auf den Tod folgend
Tomaten, und ich erinnere dich
an deinen eigenen Garten Gethsemane
ein Platz für uns
der jetzt das Paradies ist
Niemandsland
blutgetränkte Erde
gebacken in Tod
Asche zu deiner
Asche
Staub zu deinem
Staub.
Heute tanzt
ein Kind in meiner Küche
kann ich zwischen Kartoffelbonsais
lernen
reife Tomaten zu essen
die wieder
grün werden?
Lehre mich, Mutter Bekenntnis
lehre mich, erhöre mich
berühre mich
lass mich
ziehen
aus dem Paradies
Hölle
gefallene Engel
Wut und Hass
vermischt mit
Nichts
keine Liebe
nur
Leben.
Ich saß da und las Rolands Gedicht. Nein. Lou und ich würden uns aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf seinen Verkäufen ausruhen können. Es gab Zeiten, da hätte ich in unerträglichen Momenten wie diesem meinen Vater besucht. Wir teilten die gleiche Leidenschaft für Schriftsteller und Bücher. Seit ich klein war, erinnere ich mich, wie in jedem Winkel unserer großen Wohnung Bücher standen. Druckfahnen stapelten sich auf seinem abgenutzten Eichentisch und bald auch auf seinem Stuhl. Wenn der ebenfalls bis obenhin voll war, wurden die mit Gummibändern gehaltenen Seiten in den Ecken seines Büros zwischengelagert. Und wenn es keine Druckfahnen waren, waren es eben Kreuzworträtsel.
„Ein ‚großes südamerikanisches Nagetier‘ mit fünf Buchstaben. Der erste ist ein A“, fragte ich, den Mund halb voll mit Flips und vor mir die Sonntagsausgabe der
New York Times
. Dieses allwöchentliche Ritual hatte sich eingeschliffen, seit ich zehn war.
„Aguti“, sagte er abwesend und ohne von dem Manuskript aufzusehen, das er gerade in Arbeit hatte. Seine Geistesgegenwart und sein Gedächtnis beeindruckten fast jeden. Nie vergaß er einen Namen oder ein Gesicht. Er erinnerte sich nicht nur an die Geburtstage seiner Assistenten und der Postboten, unserer Hausangestellten und des Portiers, sondern auch an die ihrer Kinder und Frauen und Großmütter. Ich vermutete, er war der einzige Mensch, der den Geburtstag von jedem Bewohner des 212er Postleitzahlenbezirks kannte.
Wohin nur war dieser Verstand gegangen? Damals war ich gerade von einer Reise mit Lou aus South Carolina zurückgekommen, als Dad mich anrief. Er hatte seinen Schlüssel verloren und musste alle Schlösser austauschen lassen. Das Alter, sagten wir uns. Und dann fand er den Weg vom Oggis, seinem Lieblingsitaliener, nach Hause nicht mehr. Und dann hat er den Geburtstag von Tommy, unserem Portier, vergessen. Und dann den Namen von Tommys Frau. Und dann, eines Tages, meinen eigenen.
„Ich bin krank, Cass.“ Er sah zu mir auf, im selben Moment erschrocken darüber, dass er sich an meinen Namen erinnerte und gleichzeitig begriff, dass etwas an der Situation ganz und gar ungut war.
„Ich weiß“, flüsterte ich. Und so wurde ich zu seiner Mutter Bekenntnis. Rolands Gedicht war nicht allzu weit von meinem eigenen Leben entfernt.
Ich zog nach Florida, weil es für Lou keinen anderen Weg gab. New York war zu angefüllt mit den Erinnerungen an Helen, die wie ein Gespenst durch ihr Backsteinhaus wehten. Ich ging mit ihm, weil er mich fragte und weil wir alle wussten, dass ich eines Tages einen Platz für meinen Vater würde finden müssen. Einen bezaubernden, ruhigen Platz mit freundlichen Menschen, die ihm den Weg zu seinem Zimmer zeigen würden, wenn es nötig wäre. Und so landeten wir auf diesem kleinen rosafarbenen Fleck auf der Karte im Land der Strandhäschen und schwabbeligen Körper, und mein Vater kam nach Stratford Oaks. Hier begann
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