Echo Einer Winternacht
schwer, sich auf die Wartenden zu konzentrieren, die die Passagiere abholen wollten, und hätte Paul nicht gewinkt, hätte er ihn vielleicht übersehen. Alex eilte auf ihn zu, und die beiden Männer umarmten sich unbefangen. »Danke, dass du gekommen bist«, sagte Paul leise.
»Lynn lässt dich herzlich grüßen«, sagte Alex. »Sie wäre wirklich gern gekommen, aber …«
»Ich weiß. Ihr wollt schon so lange ein Kind, und man kann kein Risiko eingehen.«
Paul nahm Alex’ Koffer und ging auf den Ausgang des Terminals zu. »Wie war der Flug?«
»Ich habe den größten Teil der Zeit über dem Atlantik geschlafen. Aber beim zweiten Flug konnte ich irgendwie keine Ruhe finden. Ich musste immer an Ziggy denken und an das Feuer. Wie schrecklich, so zu sterben.«
Paul starrte geradeaus. »Ich denke immer, dass ich daran schuld war.«
»Wie wäre das möglich?«, fragte Alex und folgte ihm auf den Parkplatz hinaus.
»Du weißt ja, wir haben den ganzen Dachboden in ein großes Schlafzimmer und ein Bad für uns umgebaut. Wir hätten außen am Gebäude eine Feuerleiter anbringen sollen. Ich hatte schon lange vor, den Handwerker noch einmal kommen und eine installieren zu lassen, aber dann gab es immer Wichtigeres zu tun …« Paul blieb bei seinem Geländewagen stehen und verstaute Alex’ Gepäck, wobei sich seine dicke karierte Jacke über den breiten Schultern spannte.
»Das machen wir doch alle – Dinge aufschieben«, sagte Alex und legte Paul seine Hand auf den Rücken. »Du weißt ja, dafür würde Ziggy dich bestimmt nicht tadeln. Er war dafür genauso verantwortlich.«
Paul zuckte die Schultern und setzte sich ans Steuer.
»Ungefähr zehn Minuten vom Haus gibt es ein annehmbares Hotel. Da wohne ich. Ich habe dich auch dort untergebracht, wenn das in Ordnung ist. Wenn du lieber in der Stadt wärst, können wir es ändern.«
»Nein. Ich wäre lieber bei dir.« Er warf Paul ein mattes Lächeln zu. »So können wir uns zusammen der Gefühlsduselei hingeben, ja?«
»Klar.«
Als Paul auf den Highway in Richtung Seattle hinausfuhr, schwiegen sie. Nach der Umgehungsstraße um die Stadt fuhren sie weiter in nördlicher Richtung. Ziggys und Pauls Haus lag außerhalb der Stadt, ein zweistöckiges Holzhaus auf einem Hang mit atemberaubender Aussicht auf den Puget Sound, den Possession Sound und den Mount Walker in der Ferne. Als sie zum ersten Mal zu Besuch waren, hatte Alex geglaubt, sie wären in einem Winkel des Paradieses gelandet. »Wartet mal, bis es anfängt zu regnen«, hatte Ziggy gesagt. Heute war es bewölkt, mit dem klaren Licht, das solch hohe Wolken mit sich brachten.
Alex wünschte sich Regen, der zu seiner Stimmung passen würde. Aber das Wetter schien seinem Wunsch nicht entsprechen zu wollen. Er starrte aus dem Fenster und erhaschte hin und wieder einen Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Olympics und der Cascades. Am Straßenrand lag grauer Matsch, und Eiskristalle glitzerten hier und da, wenn das Licht auf sie fiel. Er war froh, dass er vorher jeweils nur im Sommer hier zu Besuch gewesen war. Die Aussicht vom Fenster war so verändert, dass nicht allzu viele schmerzliche Erinnerungen hochkamen. Paul bog zwei Meilen vor der Ausfahrt ab, die zu seinem früheren Haus führte. Die Straße ging an Kiefern vorbei zu einem Felsvorsprung, von wo man nach Whidbey Island hinübersehen konnte. Das Motel war im Blockhausstil erbaut, was, wie Alex fand, bei einem großen Gebäude wie diesem hier, das Rezeption, Bar und Restaurant beherbergte, lächerlich aussah. Aber die einzelnen kleinen Häuser, die in einer Reihe am Waldrand standen, waren nicht hässlich. Paul, dessen Hütte neben der von Alex lag, ließ ihn zum Auspacken allein. »Ich seh dich in einer halben Stunde in der Bar, okay?«
Alex hängte seinen dunklen Anzug und das Hemd fürs Begräbnis auf einen Bügel und ließ den Rest seiner Sachen im Koffer. Er hatte den größten Teil des inneramerikanischen Flugs damit verbracht, Skizzen zu zeichnen, und riss das eine Blatt, mit dem er zufrieden war, heraus und stellte es vor dem Spiegel auf. Ziggy sah ihn im Dreiviertelprofil an, und ein schiefes Lächeln betonte die Fältchen um seine Augen. Nicht schlecht getroffen dafür, dass es aus dem Gedächtnis gezeichnet war, dachte Alex traurig. Er sah auf seine Uhr. Fast Mitternacht zu Hause. Lynn würde es nichts ausmachen, dass es schon so spät war. Er wählte die Nummer. Ihre kurze Unterhaltung milderte den scharfen Schmerz etwas, der ihn
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