Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
den USA ganz zu schweigen. Aber um hier mal kurz einzuhaken. Du warst also auch für eine Weile ein begeisterter Pionier? Trotz des Glaubens?
Christian: Ja, ich war eine ganze Zeit lang ein begeisterter Pionier. Es war doch etwas Gutes, armen Menschen zu helfen, die für nichts und wieder nichts im Gefängnis sitzen mussten. Dass man mir nur Halbwahrheiten erzählte, wusste ich damals noch nicht.
Ich weiß noch sehr genau, wie wir alle rote Nelken für Mikis Theodorakis gemalt haben. Es hieß, wenn sie besonders schön werden und jeder Schüler zwei im Unterricht fertig bekommt, dann wird der griechische Komponist bald wieder frei sein. Was meinst du, wie emsig wir alle gemalt haben.
Im Nachhinein betrachtet war das schon so etwas wie eine Kaderschmiede der Partei. Alle, die voller Inbrunst mitmachten, waren integriert. Wer ausscherte, der war draußen. Ich schäme mich nicht heute zuzugeben, als ich wenig später die von mir freigekämpfte Angela Davis in Berlin im DDR-Fernsehen sah, da standen mir die Tränen in den Augen, aber noch durchschaute ich all die Polemik nicht.
Daniel: Ich erinnere mich vom Fernsehprogramm damals hauptsächlich an „Wetten, dass...?“ und das „Sandmännchen“. Dann gab es natürlich noch die „Sesamstraße“. Politische Sendungen gab es nicht. Vor allem nicht für Kinder.
Wie ging es denn nach Schulschluss weiter?
Christian: Noch heute kann ich mich an viele Christenlehrestunden erinnern. An einer Tafel in der Winterkirche hatte die Katechetin die Strophen eines Kirchenliedes aufgeschrieben und mit diesem Lied zusammen erzählte sie uns eine biblische Geschichte. Oft bastelten wir auch eine Kleinigkeit, die dann jeweils etwas mit dem Thema der Stunde zu tun hatte. Am Ende der Stunde konnten wir Kinder wie ein Wunder die drei oder fünf Liedverse auswendig. Den Prozess des Lernens hatten wir überhaupt nicht mitbekommen, so faszinierend hat unsere Katechetin biblische Geschichten erzählt.
Daniel: Interessant. Klingt, als wären diese Lehrstunden dafür sehr viel intensiver gewesen in Bezug auf den christlichen Glauben. Wenn ich das mit dem Religionsunterricht bei uns vergleiche, da ging es mehr so um Werte im Allgemeinen als um biblische Themen. Da wurde vielleicht mal über den Umgang mit dem Tod gesprochen. Aber der Bezug zur Bibel wurde normalerweise nicht hergestellt.
Christian: Das waren keine Lehrstunden im herkömmlichen Sinne. Meiner Katechetin gelang es, uns in gemütlichen Stunden christliche Werte zu vermitteln. Und all dies, ohne je eine DVD zu schauen oder einmal im Internet gewesen zu sein. Eine Tafel, ein wenig Kreide, etwas Bastelmaterial und vor allem eine glaubwürdige Person, die vor uns stand, dies reichte aus, um mich noch heute gern an diese Stunden zu erinnern.
Unsere POS war dreizügig. In jeder Klasse waren immer so um die 30 Schüler. Aus jedem Jahrgang kam dann eine Christenlehregruppe von etwa acht Kindern zusammen. Dies macht ein wenig die Mehrheitsverhältnisse deutlich.
Daniel: Gut. Acht ist aber immerhin eine ganz schöne Gruppe. Da hätte man sich doch als "große" Minderheit verbünden können.
Christian: Eventuell hast du recht, aber vielleicht war ich zu dem Zeitpunkt schon zu sehr der Einzelgänger. Außerdem waren die anderen Christenlehrekinder fast alle Landkinder. Ein gängiger Begriff für die Schüler, die immer ganz schnell zu ihren Schülerbussen eilen mussten, weil sie in den umliegenden Dörfern wohnten.
Daniel: Bei uns gab es, neben den drei Kindern in der Klasse, die zu den Zeugen Jehovas gehörten, eigentlich sonst niemanden, der regelmäßig Gottesdienste besuchte. Damit war ich als Kind aus christlichem Elternhaus ein ziemlicher Außenseiter. Ich habe auch schnell in der Grundschule begriffen, dass ich besser die Klappe halte und nicht vom Glauben erzähle, um nicht ausgeschlossen zu werden. Klar durfte jeder bei uns seinen Glauben frei ausüben, und natürlich waren alle Deutschen, Jugoslawen und Italiener in meinem Viertel getaufte Christen. Aber eben keine praktizierenden.
Ich erinnere mich, wie ich einmal im Religionsunterricht in der Grundschule vor versammelter Klasse sagte: "Aber ist das nicht okkult?"
Die Lehrerin hatte über irgendwas gesprochen, ich weiß nicht mehr worüber, und das kam mir in diesem Moment sehr verdächtig vor. Ende der 80er ging ein Buch in freikirchlichen Kreisen umher, das hieß "Der Griff nach unseren Kindern". Seither war so ziemlich alles, was für
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