Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
hätten. Nein, ganz einfach weil sie neidisch waren, mit so einem sonderbaren Mann im wehenden Mantel durch die Stadt zu gehen. Was für sie unerreichbar schien, konnte dem Einzelgänger Döring doch nicht möglich sein. So redeten sie sich in Rage und meine Klassenleiterin empfahl mir, ab sofort einen anderen Schulweg zu nehmen. Ich äußerte mich nicht, war aber geschockt, dass dieser Beschluss einstimmig fiel. Hatte ich wirklich keinen einzigen Freund mehr?
Schon am nächsten Tag war meine Mutter bei der Lehrerin. Meine Mutter war eine sehr kleine, aber resolute Person. Sie stellte die Lehrerin zur Rede und fragte nach dem Sinn ihres Handelns. Da die Lehrerin nicht zur Zufriedenheit meiner Mutter antwortete, ging meine Mutter mit den Worten: „Christian wird seinen Weg gehen wie immer, und wenn Ihnen das nicht passt, dann gehe ich zum Direktor und melde Christian von den Pionieren ab.“
Als ich das hörte, klang es für mich wie ein Erdbeben. Wenn ich nicht mehr zu den Pionieren gehörte, dann war ich erledigt.
Die Aufregungen legten sich bald wieder. Aber meinen Namen, "der kleine Pastor", den hatte ich noch einige Schuljahre zu tragen.
3. "Einen Weihnachtsmann bekommen Sie nicht!"
Christian: Eine große Errungenschaft feierte unser sozialistisches Wohngebiet, als wir Mitte der 70er Jahre einen supermodernen Konsum bekamen. Ein großer Flachbau mit allen Waren des täglichen Bedarfs, die das sozialistische Versorgungssystem für seine Bürger vorsah. Schon wenige Wochen, nachdem der geöffnet hatte, waren unsere beiden Tante-Emma-Läden pleite und verschwunden. Für mich als Steppke war das Einkaufen dort sehr einfach gewesen. Ich legte den Einkaufszettel meiner Mutter auf den Verkaufstisch und meine geliebte Tante Kratz, übrigens auch eine Kirchgängerin, begann sofort die Hälfte der aufgeschriebenen Produkte auf meinem Einkaufszettel durchzustreichen, was in der Übersetzung bedeutete: Habe ich leider nicht. So ging ich dann mit meiner mageren Ausbeute und einem Bonbon, den ich mir immer aus einer großen Glasschale aussuchen durfte, nach Hause.
Daniel: Okay, wie groß muss ich mir denn so einen Ost-Supermarkt in einer Kleinstadt vorstellen? Bei uns waren die Stadtteil-Supermärkte in den 80er Jahren selbst in der Großstadt noch winzig. Nicht wie heute. Es gab allerdings Auswahl: Kleiner Penny-Markt, kleiner ALDI und ein türkischer Lebensmittelmarkt, der aber genauso groß war, wie die deutschen Supermärkte.
Christian: Dieser Ost-Supermarkt war schon nicht klein, vergleichbar vielleicht mit einem normalen Aldi-Supermarkt heute. Das leidige Problem war, dass viele Regale gestreckt waren. Da weißt du natürlich wieder mal nichts mit anzufangen. Der DDR-Bürger schon. Hat man in Normalzeiten vielleicht ein Regal mit Zucker – oder Mehltüten – vor sich, welches zwei Meter breit ist, wurde es in Zeiten, da die Nachbarartikel nicht zu haben waren, eben auf vier oder sechs Meter gestreckt. Und plötzlich hattest du ein 6 Meter langes Regal voller Mehltüten. Und bei uns gab es nur eine Sorte Mehl.
Zucker war übrigens in den Sommermonaten immer knapp. Genau dann, wenn die Leute ihre Einweckgläser für den Winter füllten, brauchten sie dafür natürlich Zucker. Viele kauften aus Sorge, morgen keinen Zucker mehr zu bekommen, gleich vier Tüten mehr und verschlimmerten dadurch die Lage weiter.
Aber sag mal, gab es bei euch im Wessiland wirklich immer alles zu kaufen?
Daniel: Klar. Zumindest das, was eben zum normalen Verkaufsprogramm gehörte. Manche exotischen Früchte kannte damals auch im Westen niemand. Aber das normale Sortiment an Früchten und Obst war das ganze Jahr über zu haben – obwohl die Sachen eigentlich gar nicht das ganze Jahr über wachsen sollten.
Auch im Kaufhaus gab es alle Produkte, die man wollte, immer auf Lager. Mein größeres Problem war, dass mein Taschengeld nicht für alles gereicht hatte, was ich als Grundschüler gerne gekauft hätte. Also im Supermarkt hauptsächlich Süßigkeiten, wie Twix – das damals noch Raider hieß – und Überraschungseier. Im Kaufhof hielt ich mich immer lange in der Spielwaren Abteilung auf. Zunächst beim Playmobil und LEGO. Später dann auch vermehrt bei den neu eingerichteten Videospiele-Regalen. Ende der 80er gab es bei uns die erste Nintendo-Spielkonsole zu kaufen. Ich habe meine Eltern so lange belabert, bis ich eine geschenkt bekam. Allerdings kosteten die Spiele damals so zwischen 80 und 100 Mark. Da musste
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