Echten Maennern gibt man ein Kuesschen - Roman
Nor! Da bist du ja!«, rief eine besorgte Stimme, und dann kam ein Mann über die Düne, dicht gefolgt von einem kleinen Hund. »Da bist du also, du kleine Ausreißerin. Du kannst doch nicht einfach so verschwinden! Weißt du, was du mir für einen Schrecken eingejagt hast, als ich gemerkt habe, dass du weg warst? Hatte ich dir nicht befohlen, auf mich und Gizmo zu warten? Ich will mir lieber gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn ich dich verlieren
würde. Dein Vater würde mich am nächstbesten Baum aufknüpfen und mich mit seinem Lieblingsküchenmesser ausweiden! Du kannst doch nicht einfach allein über die Dünen laufen und an den Strand gehen!«
»Aber ich bin doch gar nicht allein!«, erwiderte das Mädchen und strahlte ihn entwaffnend an. »Ich spiele mit meiner neuen Freundin.« Sie drehte sich zu Remy um, deren Mund beim Auftauchen des Mannes mit dem kleinen Hund offen stehen geblieben war, und nahm ihre Hand. »Das ist meine neue Freundin Remy. Remy, das ist mein Onkel Felix …«
Felix lehnte im Türrahmen der Küche des Dolphin und beobachtete seinen Bruder, der missgelaunt mit einem scharfen Messer ein Filetsteak attackierte. Seitdem sie weg war, war er nur noch gereizt und schlecht drauf und neigte dazu, seine Laune am Essen auszulassen. Sein normalerweise sonniges, entspanntes Gemüt war zwar nicht vollends verschwunden, aber es hatte einen Dämpfer bekommen, wie wenn die Sonne von Unwetterwolken verdeckt wird, die drohen, ihre Fracht jederzeit über der Welt abzuladen.
Als Joe schließlich merkte, dass sein Bruder ihn beobachtete, rang er sich ein mattes Lächeln ab und fragte: »Wo hast du denn meine Tochter gelassen?«
»Sie sitzt an der Theke, und Tim mixt ihr und Gizmo gerade einen Wodka Tonic«, erwiderte Felix lachend. »Guck nicht so, Brüderchen. Ich meine natürlich Milchshakes.«
»Hattet ihr einen netten Morgen?«
»Wie es aussieht, jedenfalls einen besseren als du.«
»Was soll das denn heißen?«
»Hast du mal dein Gesicht gesehen?«
»Das sehe ich jeden Morgen im Spiegel«, erwiderte Joe gereizt, obwohl er genau wusste, worauf sein Bruder anspielte.
»Und? Ist dir schon mal aufgefallen, dass deine Mundmuskeln
nicht mehr imstande sind, deine Mundwinkel nach oben zu ziehen?«
Joe weigerte sich, darauf zu antworten.
»Du vermisst sie sehr, oder?«, wagte Felix sich vor.
»Wen?
»Du weißt genau, von wem ich rede.«
»Wie sollte ich jemanden vermissen, den ich nicht einmal kenne?«
»Genauso wie es Liebe auf den ersten Blick gibt«, entgegnete Felix.
Joe antwortete nicht. Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit erneut dem Steak zu und versuchte, seinen Bruder durch sein beharrliches Schweigen dazu zu bringen, sich zu verziehen.
Doch Felix rührte sich nicht vom Fleck, bis Joe sich schließlich wieder zu ihm umdrehte, das Messer aufs Hackbrett legte und tief seufzte.
»Gut, wenn du dich dann endlich verziehst und mich in Ruhe lässt, gebe ich es zu: Ich vermisse sie. Aber ich habe das Richtige getan, Felix. Du hast es selbst gesagt, erinnerst du dich?«
»Ja. Aber war es das Richtige für dich oder das Richtige für Eleanor?«
»Was für Eleanor das Richtige ist, ist auch für mich das Richtige. Du weißt doch, wie niedergeschlagen sie war, als Lucy uns verlassen hat. Sie war der erste Mensch, dem Nor seit dem Tod ihrer Mutter vertraut hat, und als sie gerade ihr Herz geöffnet hatte, ist Lucy einfach verschwunden.«
»Aber das war nicht deine Schuld.«
»Ich weiß, aber sie hatte mir hoch und heilig versprochen, bei uns zu bleiben, wenn ich sie El vorstelle… Und es war meine Entscheidung, das zu tun oder es eben zu lassen, und sieh dir an, wie es geendet hat. Vielleicht hat sie mein Herz
nicht gebrochen, als sie zurückgegangen ist nach London, aber das meiner Tochter hat sie sehr wohl gebrochen. Ich kann ihr das nicht noch einmal antun, Felix.«
»Nicht alle sind wie Lucy, Joe.«
»Ich weiß, aber Remy und Lucy haben eins gemeinsam: Sie sind beide nach Jersey gekommen, um hier Urlaub zu machen. Und egal wie schön ein Urlaub auch sein mag, irgendwann will man nun mal zurück nach Hause.«
»Vielleicht wäre Remy ja geblieben… wenn du sie gefragt hättest.«
»Du weißt genau, dass ich das niemals tun würde. Es würde nämlich nicht funktionieren, Felix. Sie müsste aus eigenen Stücken auf Jersey leben wollen, und nicht nur mir zuliebe …«
»Mit anderen Worten - wenn Remy sich unabhängig von dir entschieden hätte, sich ein eigenes Leben
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