Ed King
Atem und zuletzt Verzweiflung vor dem unausweichlichen Sprung in den reißenden Strom.
Das unausweichliche Verhängnis nahm am 4. Juli um Mitternacht seinen Lauf, als Walter wach wurde und Diane in einem Baumwollpyjama mit aufgedruckten Feuerwehrautos auf seinem Bett saß. »Was ist los?«, fragte er und stützte sich auf einen Ellbogen. »Ist was, Diane?«
»Oh, Walter«, schluchzte sie.
Er zögerte. »Schlechtes Timing«, dachte er, weil er gegen acht zwei Hamburger und eine große Portion Nudelsalat gegessen hatte und anschließend fast eine halbe Kiste Pabst-Bier geleert hatte, während Diane in ihren abgeschnittenen Jeans mit den Kindern im Garten Wunderkerzen und Feuerschlangen abbrannte. Anders gesagt, er fühlte sich träge, nicht in Bestform und zu aufgebläht für das, was ihm vielleicht bevorstand. Noch dazu in dem Bett, das er mit Lydia teilte. Unter den Bildern von Tina und Barry an der Wand. Einer von ihnen konnte jeden Moment ins Zimmer geschlichen kommen, aufgeschreckt und verängstigt durch das Feuerwerk, und schützend unter seine Decke kriechen. Und zuletzt mit einem Mädchen, das behauptete, achtzehn zu sein, vom bloßen Aussehen her aber um einiges jünger sein mochte. »Wo drückt’s denn?«, fragte er.
»Darf ich zu dir?«, fragte Diane.
Sie hob das Laken, rollte auf die Matratze und schmiegte sich an ihn,als wäre sie seine Tochter und er wollte ihr eine Geschichte vorlesen. »Hoppla«, sagte Walter, der nur seine Boxershorts trug, »einen Moment mal.«
»Bitte«, antwortete Diane. »Ich bin einsam.«
Sie drückte sich noch enger an ihn. Auf dem Boden stand ein großer Ventilator, und das Fenster war geöffnet, aber es war dennoch heiß. Ein dünner Schweißfilm begann sich zwischen ihnen zu bilden. Aber das war nicht die Hauptsache. Die Hauptsache war, dass Diane ein seltsames Geräusch von sich gab, eine Mischung aus Wimmern und Schreien. Weinte sie etwa? Tatsächlich. Walter wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. »He, Kopf hoch, Diane«, sagte er und strich ihr über die Schulter.
Schluchzend und schniefend wickelte Diane eine Haarlocke um ihren Zeigefinger und verschaffte ihm, vielleicht nicht ganz unabsichtlich, eine Erektion. Auch wenn Walters Schwanz auf eine eindeutige Antwort drängte, konnte er nicht umhin, väterliches Mitleid und sogar Zärtlichkeit für Diane zu empfinden. Bis jetzt war sie ihm immer so stark und unverwüstlich vorgekommen. Weshalb weinte sie nun? Er war auf Tränen nicht vorbereitet. »Diane«, sagte er und strich ihr mit der Hand übers Haar. »Ist schon gut.«
»Nein, ist es nicht«, erwiderte sie.
Dann überschüttete sie ihn mit einem Schwall persönlicher Informationen, die sie offenbar dringend, beinahe verzweifelt loswerden musste. Sie sei »die Tochter einer Dorfhure«, sie werde »niemals nach England zurückgehen«, sie sei in Wirklichkeit erst fünfzehn und habe die Einwanderungsbehörde getäuscht, an ihrer Schule habe sie nicht eine einzige Freundin gefunden, und auch in ihrer Gastfamilie in Seward Park sei alles schiefgelaufen, besonders das Verhältnis zu ihrem Gastvater, der sie wie Luft behandelt habe. »Wie das?«, fragte Walter.
»Er mochte mich nicht, das weiß ich genau.«
»Ausgeschlossen. Da müsste er verrückt gewesen sein.«
Dann erzählte sie, ihr eigener Vater sei ein französischer oder amerikanischer Matrose, so genau wisse sie das nicht. Sie habe einen Halbbruder, Caleb, sechzehn Monate älter als sie (»Da lag ich also richtig mit dem Brief auf dem Schreibtisch«, dachte Walter, »der Halbbruderheißt mit Spitznamen ›Club‹«), der mit vierzehn nach London durchgebrannt sei, sowie einen weiteren Halbbruder, John, der noch älter und Polizist sei. Sie habe eine Großmutter auf dem Land, die, sagte Diane, »eine gemeine Hexe« sei, und einen Großvater, der sie »einen gottlosen Bastard aus einer Brut gottloser Bastarde« schimpfte.
Sie beschrieb Walter eine Szene aus ihrer Kindheit. Sie war zwölf, es war Sommer, sie war auf dem Land, fütterte die Schweine, und ihre Großmutter antwortete auf ihre Frage, wer ihr Vater sei: »Das wissen allein der Herrgott und deine Mutter.« Ihr Großvater, der Diane fast alle Drecksarbeit erledigen ließ, fügte, auf die Schaufel gelehnt, hinzu: »Bevor du ausgebrütet wurdest, hatte sie was mit ’nem Matrosen.« Die lebhafte Erinnerung ließ Diane umso heftiger schluchzen. Sie erinnerte sich sogar noch, dass ihre Peiniger nachher im Haus immer wieder davon angefangen
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