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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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Diane.
    Emily legte eine Hand auf ihren Arm. »Niemand möchte gerne abhängig sein«, sagte sie. »Du brauchst keinen Typen, um glücklich zu sein. Aber wenn du deine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf dich selbst richtest, ist das ironischerweise auch für dich gut. Du brauchst jemanden, an den du denken kannst.«
    »Nein, brauche ich nicht.«
    »Du könntest es mit einer Partnervermittlung versuchen.«
    »Emily«, sagte Diane.
    »Ich kenne Leute, bei denen das prima funktioniert hat.«
    »Schön für sie.«
    »Ich kenne einige Männer bei mir im Büro, die liebend gern mit dir ausgehen würden. Du siehst fabelhaft aus, Diane.«
    Aber Diane hatte keine Lust auf Dates. Sie kam sich altjüngferlich und verwelkt vor. Mut zum Leben, das wusste sie, war Theater, eine bloße Show. Sie selbst hätte eine Lebensberatung gebrauchen können, jemanden, der sie wieder auf die Spur brachte. Also nahm sie die Sache selbst in die Hand. Mit grimmiger Entschlossenheit kaufte sie einen Videorecorder und ein Jane-Fonda-Fitness-Video. Sie verlor ein paar Pfunde und kleidete sich neu ein. Einer ihrer Klienten besaß Ferienwohnrechte an einem Haus am Lake Wenatchee, die er in diesem Jahrnicht einlösen konnte. Er schenkte ihr eine Woche, die sie im April einlöste, als die Straßen größtenteils schneefrei waren. Ihre Vorsätze lauteten: wenig essen, viel Bewegung, Lektüre am Kamin und früh zu Bett. Die ersten zwei Tage hielt sie sich daran, doch dann kam Emily zu Besuch, und sie gingen ins Café Mozart in Leavenworth groß essen, einschließlich einer Flasche Kerner Spätlese für fünfzig Dollar und großen Bechern Bayrischem Kaffee mit Obstler, Sahne und Zucker, zu dem sie warmen Apfelstrudel aßen. Nach dem Essen fühlten sie sich rund und wohlig. Sie liehen ein Video aus und kauften eine Zeitung. Die beiden deutschen Staaten vereinigten sich. Der Film Die fabelhaften Baker Boys war besser als erwartet. Am nächsten Morgen lag der See wie ein glatter Spiegel vor ihnen; am Nachmittag kräuselte sich die Oberfläche, aber auch das sah hübsch aus. Die Äpfel- und Pfirsichbäume leuchteten im frühlingshaften Grün. Rehe ästen vor ihrem Panoramafenster. Emily hatte auf dem Rücksitz ihres Jetta eine Nudelmaschine für Diane mitgebracht. In häuslicher Eintracht, als wären sie Schwestern, machten sie Nudeln con aglio e olio und tranken dazu Rotwein. Nachdem Emily sich am nächsten Morgen mit einer herzlichen Umarmung von ihr verabschiedet hatte, las Diane in ihrem englischen Roman und machte am späten Nachmittag einen längeren Spaziergang. In der kühlen Abendluft fühlte sich ihre Haut gestrafft an. Ganz begeistert war sie von ihren neuen Goretex-Wanderschuhen. Sie waren wasserfest, elegant, passten sich bequem dem Fuß an und drückten nicht auf ihren wunden Fußballen.
    Wieder in Bellevue, bei nasskaltem Wetter und mit leicht verspanntem Rücken, hatte Diane am Montagmorgen einen Termin mit einem Klienten, der so weinerlich, selbstbezogen und neurotisch war wie der Rest und sie umgehend in ihr tiefes Loch zurückbeförderte. Um zehn war ihr klar, dass die idyllischen Tage am See keine anhaltende Wirkung haben würden, und sie flüchtete sich voller Panik in ihren englischen Roman. Gegen Mittag ging sie niedergeschlagen in die City, stöberte in exklusiven Boutiquen und weniger vornehmen Läden, darunter lange Zeit in der Bekleidungsabteilung von The Bon – ein bewährter und zuverlässiger Trost, genau wie der Spinatsalat mit Avocado und Grapefruit im Sheraton an der Ecke Sixth und Union. Unddoch war es das gleiche alte Spiel. Jetzt noch ein Dessert? Noch mehr stöbern, shoppen, sich treiben lassen und dabei alt und grau werden? Ihre Zeit mit Nichtstun totschlagen? Es hatte wieder zu regnen begonnen. Zeit, nach Hause zu gehen und einen weiteren einsamen Abend vor dem Fernseher zu verbringen. Doch dann fiel ihr ein, dass Emily ihr beim Nudelmachen am Lake Wenatchee vom IMAX-Film Blue Planet vorgeschwärmt hatte, offenbar im Zuge ihrer allgemeinen Erdverbundenheit und ihres neu entdeckten Umweltbewusstseins. Wie spät war es? Viertel nach drei. Warum nicht mit der Monorailbahn ins Seattle Center fahren und im Kino zu Emilys Blue Planet vor sich hin dösen? Nachher könnte sie mit Emily darüber reden und ihre Freundschaft festigen. Den verregneten Nachmittag in der wohligen Dunkelheit eines Kinosaals zu verbringen, ohne jede Verpflichtung, erschien Diane nicht der schlechteste Zeitvertreib. Sie gab sich einen Ruck und

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