Ed King
wollte das Wettrennen mit fliegendenFahnen für sich entscheiden, als weiterer Sieg auf seinem fortgesetzten Feldzug gegen die historische Wahrheit, dass große Imperien irgendwann zerfallen und vergehen. Sein Ziel war, eine Unterscheidung unmöglich zu machen: Niemand sollte sagen können, ob er mit einem Menschen oder einem Computer sprach. Selbstverständlich war dies in erster Linie ein Problem der künstlichen Intelligenz, aber Modulation, Sprechtempo, Tonfall, Syntax, Artikulation und emotionale Interferenzen der Sprecherstimme mussten dem Kunden akzeptabel erscheinen, und diese Aspekte lagen auf einer ganz anderen Ebene, denn klug zu sein hieß noch lange nicht, menschlich zu sein. Indem Ed Audiomaterial aus dem Netz sammelte, archivierte und durch tägliche Updates vermehrte, legte er eine Datenbank an, die einer Maschine als Grundlage für die Aneignung menschlicher Sprachmuster dienen konnte. Voraussetzung war eine beispiellose Verarbeitungsgeschwindigkeit, weil das Programm das Netz zuerst nach Inhalten und anschließend Eds gesamtes Audio-File durchsuchen musste. Beide Schritte mussten schnell genug erfolgen, um der künstlichen Stimme ein natürliches Sprechtempo zu geben, da ellenlange Pausen das Markenzeichen von Maschinen waren, und genau mit dem Problem kämpfte Ed gerade. Sein KI-Programm, das er Cybil getauft hatte, klang wie eine junge Frau aus dem Mittleren Westen, nur dass sie vor jeder Antwort zu lange Pausen machte. Cybil war offenbar weit gescheiter als die durchschnittliche automatische Kundenhotline, aber sie hatte eine unverbesserlich langsame Auffassungsgabe, und ihre Pausen waren nervtötend. Andererseits war die ganze Sache faszinierend. Ed hatte Cybil darauf programmiert, Betonung und Sprachmelodie bestimmten damit verknüpften Persönlichkeitsmerkmalen zuzuordnen und nach linguistischen Strukturen zu suchen, die diesem Persönlichkeitstyp entsprachen. Er wollte, dass die Stimme in seinem Büro ironisch, spritzig, kampflustig, lebhaft, schlagfertig, selbstbewusst – mit einem Wort, siegessicher – klang, und jetzt bemerkte er mit großer Zufriedenheit, dass Cybil sich genau in diese Richtung entwickelte, wenn auch im Schneckentempo. Er müsste ihr nur genügend Zeit geben, hoffte er. Zuletzt würde Cybil mit einer Stimme sprechen, die von der eines Menschen nicht zu unterscheiden war.
Ed arbeitete nur noch wenig mit Keyboard, Touchpad und Bildschirm. Stattdessen sprach er von einem Sessel aus mit Cybil und ließ sie die Arbeit machen. Je besser sie sich auf ihn einstellte, indem sie seine Kommentare, Anweisungen und Fragen speicherte, desto unverzichtbarer wurde sie für ihn. Und je mehr Audiomaterial seine Crawler in ihre Datenbank einspeisten und je mehr Rechnerkapazität er bereitstellte, desto überzeugter war er, das Geschwindigkeitsproblem zu überwinden. Zuletzt würde er eine persönliche Assistentin haben, deren Stil, Auftreten und Tempo ganz und gar authentisch wären. Dennoch konnte Ed sich nur schwer damit abfinden, dass Cybil lediglich ein Rechner war. Nach seinem Empfinden sollte sie viel mehr sein. Während er sie mit immer mehr Daten fütterte und mit immer mehr Leistung ausstattete, fragte er sich, ob es in ihrer Entwicklung nicht einen Punkt geben würde, an dem sie die ureigenen menschlichen Merkmale – Bewusstsein, Kreativität, einen freien Willen, Gefühle – erwarb, die schon Adam und Eva in Schwierigkeiten gebracht hatten. Waren diese Dinge von der biologischen Entwicklung unabhängig, oder waren sie Produkte ebendieser Entwicklung, auf einer entsprechend komplexeren Ebene? Hatte Gott Materialien gehabt, die Ed nicht zur Verfügung standen? Gab es unsichtbare Komponenten oder immaterielle Abstraktionen, die in einer Frau aus Fleisch und Blut eingeschlossen waren? Ed horchte nach einer Seele in Cybil, aber sie kam ihm stets wie eine Maschine ohne eigenes Wesen vor, wie ein Stück Silizium.
Ed probierte weiter sein Glück. Wünschte er Cybil einen guten Morgen, antwortete sie mit perfektem Timing und Tonfall: »Guten Morgen, Ed.« Bis zu diesem Punkt gab es keine Probleme, abgesehen davon, dass Cybil jeden Tag in der gleichen Stimmung war, was unnatürlich wirkte und noch verbessert werden musste. Als Nächstes setzte er sich und stellte ihren Prozessor auf die Probe, indem er zum Beispiel fragte: »Nun, Cybil, warum bin ich hier?« Pause. Eine viel zu lange Pause. Zugegeben, eine solche Frage könnte auch eine persönliche Assistentin in Verlegenheit
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