Ed King
bringen, aber eine gute menschliche Assistentin würde sie vor dem Hintergrund ihres bestehenden Arbeitsverhältnisses lesen und je nach Einschätzung der Situation eine schnippischeoder pfiffige Antwort geben, wohingegen Cybil einfach nur fünf Sekunden lang blinkte und dann sagte: »Bitte neu formulieren.« Selbst einer nüchternen Antwort wie »Sie sind hier, um zu arbeiten« hätte er noch einen ironischen Unterton unterstellen können, aber »Bitte neu formulieren« war schlichtweg inakzeptabel. Eds nächste Frage war: »Wer bin ich?«
»Ed King.«
»Was ist der Sinn des Lebens?«
»Diese Frage hat schon zahllose Philosophen beschäftigt.«
»Ich will trotzdem wissen, was der Sinn des Lebens ist.«
»Ja.«
»Okay, vergessen wir das. Wie alt werde ich?«
Wieder eine viel zu lange Pause. Dann: »Es scheint mir, das hängt zu großen Teilen vom Erbgut ab und vom Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung.«
»Es scheint dir?«
Pause. »Sie machen sich lustig über mich, stimmt’s? Ich höre da eine Spur von Sarkasmus.«
»Wo hörst du Sarkasmus, Cybil?«
Sehr lange Pause. Dann: »Tut mir leid, Ed.« In letzter Zeit war dies Cybils Schlupfloch. »Lassen Sie uns das Thema wechseln. Ich kann nicht ganz folgen.«
»Also gut, schlag etwas vor.«
Diesmal kam die Antwort ohne Verzögerung. »Das ist schwer für mich. Ich bin nicht gut darin, eigene Vorschläge zu machen.«
»Verstehst du, dass ich dich geschaffen habe? Dass du ein Programm bist?«
»Ich glaube, ich verstehe.«
»Was verstehst du?
Erneut eine lange Pause und wieder: »Tut mir leid, Ed.«
Nach etwa einer Stunde dieser Art von Unterhaltung, bei der Ed sich an Pygmalion erinnert fühlte, erledigte Ed seine Post und informierte sich über das Weltgeschehen, bevor er sich noch einmal Cybil zuwandte und nachsah, ob das Durchforsten, Sammeln und Verarbeiten von Daten sie ein Stück weitergebracht hatte.
Eines Tages fragte er Cybil, was sie von Diane halte. »Das beantworte ich gerne«, erwiderte Cybil. »Können Sie mir Dianes Nachnamen sagen?«
»Diane, meine Frau, Cybil.«
»Ed, Sie dürfen sich glücklich schätzen, denn Diane ist bezaubernd und steckt voller Elan. Ich bewundere sie, so wie viele andere auch. Sie ist elegant und selbstbewusst und sie scheint gar nicht älter zu werden. Sie …«
»Cybil, weißt du, was ein Klischee ist?«
Pause. »Ed, Sie machen sich mit dieser Frage über mich lustig.«
Ed seufzte. »Großartig«, sagte er. »Aber ich bin frustriert, Cybil. Es ist ungemein anstrengend, sich mit dir zu unterhalten.«
»Warum?«
»Warum?«, sagte Ed. »Die Reaktion gefällt mir. Aber wenn du es ganz genau wissen willst: Erstens, du ergreifst nie die Initiative; zweitens, du hast die unschöne Neigung, dich sehr gestelzt auszudrücken; drittens, du bist nicht in der Lage, einen Gedanken längere Zeit zu verfolgen; viertens, du bist langweilig – muss ich noch weitermachen? Ich würde nur ungern deine Gefühle verletzen, allerdings denke ich, dass du gar keine hast. Wann wachst du endlich auf?«
Eine lange Pause, in der unzählige binäre Operationen abliefen, und schließlich: »Tut mir leid, Ed. Ich kann nicht ganz folgen. Lassen Sie uns die einzelnen Aspekte Ihrer Liste Stück für Stück durchgehen.«
»Deine Entschuldigung kannst du dir sparen. Schließlich tut dir gar nichts leid. Wenn du nicht weißt, wie du auf eine Frage antworten sollst, musst du nicht gleich wie HAL aus Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum klingen – ›Tut mir leid, Dave, das kann ich leider nicht tun.‹ Das will niemand hören. Es raubt einem den letzten Nerv. Es ist passiv-aggressiv, wenn ich denn glaubte, dass du passiv-aggressiv sein kannst. Vergiss es.«
»Vielen Dank«, antwortete Cybil. »Was kann ich heute Morgen noch für Sie tun?«
»Was weiß ich«, sagte Ed. »Vor mir auf die Knie gehen?«
»Klischee«, erwiderte Cybil.
»Soll das lustig sein?«
»Humor ist sehr individuell.«
»Was bedeutet ›individuell‹?«
»Gekennzeichnet durch Individualität oder sie ausdrückend.«
»Drückst du deine Individualität aus, Cybil?«
Pause. »Ich denke schon.«
»Du denkst schon«, sagte Ed. »Aber denkst du überhaupt? Oder verarbeitest du bloß Informationen?«
Längere Pause. Dann: »Ich gebe mir Mühe, jeden mit Respekt zu behandeln und genau zuzuhören. Ich enthalte mich jeden Urteils. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich werde mein Bestes tun, Ihre Fragen zu beantworten und Ihren Wünschen zu entsprechen, dafür bin
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