Ed King
diagnostiziert. Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, schrieb er Ed eine versöhnliche E-Mail, in der er beteuerte, das bei ihm festgestellte Karzinom wachse in der Mehrheit der Fälle nur sehr langsam. Er glaube nicht daran, dass grüner Tee oder Granatapfelsaft irgendeinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hätten, und er sehe auch keinen Grund zur Beunruhigung, da er noch Jahrzehnte damit leben könne und sich derzeit noch keine Symptome zeigten. Dennoch sei er noch sehr jung für Prostatakrebs, was auf eine genetische Disposition hinweise. Ging Ed jedes Jahr zur Vorsorgeuntersuchung?
Ed ging tatsächlich jedes Jahr zum Screening – Teil seines Strebens nach einem langen Leben. Er hatte auch eine Genomanalyse vornehmen und sich in einer Genberatung über mögliche Gefahren und strukturpräventive Maßnahmen informieren lassen. Von Prostatakrebs war dabei nie die Rede gewesen, sodass Ed sich trotz Simons E-Mail vor dieser Bedrohung sicher fühlte. Dennoch kam er zu dem Entschluss, die genetischen Daten seines Bruders könnten auch für ihn Nützliches enthalten. Er rief deshalb Simon an und schlug ihm vor, sein Genom analysieren zu lassen. Zugleich empfahl er ihm jemanden – verbunden mit der Hoffnung auf eine Aussöhnung zwischen ihnen beiden –, der dies ohne lange Wartezeiten durchführen würde.
»Ich weiß nicht«, sagte Simon.
»Warum nicht?«
»Will ich wirklich wissen, dass ich nächstes Jahr an Krebs sterbe?«
»Könnte möglicherweise ein Argument sein.«
»Und außerdem«, sagte Simon, »ist es ein Eingriff in die Privatsphäre. Das ist nicht gegen Pythia gerichtet, Ed. Ich denke nur, es ist ein Eingriff in meine Privatsphäre.«
»Der Schutz der Privatsphäre«, antwortete Ed, »ist kein Argument. Weil deine Genomsequenz erstens nur mit deinem Einverständnis in unsere Datenbank eingeht und weil, zweitens, selbst wenn die Informationen in unserer Datenbank verarbeitet werden, dies streng anonymisiert geschieht. Um die Privatsphäre brauchst du dich definitiv nicht zu sorgen.«
»Berühmte letzte Worte.«
»Hör zu«, sagte Ed. »Ich bin nicht in unserer Datenbank, genauso wenig wie Diane. Wir legen – genau wie du – Wert auf unsere Privatsphäre. Du musst nur ein Häkchen bei ›Nein‹ machen, und wenn du deine Ergebnisse bekommst, schickst du sie mir per E-Mail, es sei denn, auch das ist dir nicht sicher genug und du würdest einen Kurierdienst vorziehen.«
»Jeder weiß, wie unsicher E-Mails sind«, sagte Simon.
»Si«, sagte Ed. »Lass eine Genomanalyse machen.«
Si gab schon bald nach und stimmte einer Sequenzierung zu. Ed bombardierte Cybil weiter mit vertrackten Fragen. Hat das Universum sich selbst erschaffen? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Existierte die Zeit, bevor es den Raum gab? Galten die Naturgesetze schon vor der Entstehung des Universums? Im Sommer 2017 begann es sintflutartigzu regnen, schlimmer als alles, was Seattle bis dahin erlebt hatte. War die Erderwärmung daran schuld? Viele Leute glaubten dies. Die Luft war feuchtwarm, und es regnete so stark, dass die Gullys überquollen und Straßen überflutet wurden. Berghänge rutschten ab, Straßen und Zufahrten wurden vom Regen unterspült, und Frösche und Mücken tauchten in Heerscharen auf. Eine Schlammlawine bedeckte einen Parkplatz von Pythia und versperrte die breite Zufahrtsstraße auf der Westseite des Geländes. An einem Tag fiel für sieben Stunden der Strom aus, und Eds Reich musste von Generatoren gespeist werden. »Was ist los?«, fragte er Cybil. »Wann hört der Regen auf?«
»Ich kann keine gesicherte Vorhersage machen«, sagte Cybil. »Die Datenmenge ist immens, und sie verändert sich ständig. Täglich gibt es neue Informationen. Alles ist unbeständig und im Fluss. Immerhin lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Daten mit einiger Gewissheit sagen, dass die Niederschläge im Juli im Gebiet des Puget Sound eine neue Höchstmarke erreichen werden, sowohl was die Niederschlagsmenge als auch die Regentage in Folge angeht.«
Ed blieb im Haus. Er testete weiter Cybils Grenzen und fragte sie, ob sie verstehe, worum es ihm bei ihren Gesprächen ging. »Ich will die algorithmischen Fähigkeiten deines Prozessors dazu bringen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen«, sagte er.
»Ich verstehe.«
»Ich habe die Hoffnung, dass du auf diese Weise ein Bewusstsein entwickelst. Das hieße aber, dass Bewusstsein nicht mehr ist als etwas, das auf einer tieferen Ebene der Datenverarbeitung
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