Edelmann und Satansfreund
Vorgang war so unheimlich und außergewöhnlich, daß sie Mühe hatte, einen Schrei zu unterdrücken. Sie wollte ihrem Ahnherrn – das war er ja leider tatsächlich – nicht ihre Angst zeigen, und so riß sich Hildegard mit Gewalt zusammen.
Die beiden Knochenberge blieben zurück. Noch immer umflort von diesem rätselhaften Licht aus grünlichgelber Farbe, das sich Hilde ebenfalls nicht erklären konnte.
Der angeblich tote Rudolf von Zavelsreuth sah aus wie immer. Nichts hatte sich bei ihm verändert. Noch immer war der Kopf einschließlich des Gesichtes von einem Helm mit nach unten geklapptem Visier bedeckt, in dem nur zwei Schlitze für die Augen freilagen. Jetzt in der Dunkelheit waren sie besonders gut zu sehen, denn sie leuchteten wie kalte Grablaternen.
Ihn umgab nicht einmal der Hauch von Verwesung. Er wirkte wie ein normaler Mensch, der sich verkleidet hatte, um zu einem Ritterfest zu gehen. Aber hier war nicht die Burg Satzvey, wo die Ritterspiele jährlich stattfinden, Hilde war die Gefangene in der Ruine Zavelstein, und es war auch kein Spiel.
Er hatte sein Schwert gezogen. Das Schimmern der Klinge war verschwunden, denn an ihrem Metall klebten dunkle Flecken. Hilde wußte augenblicklich, daß sie nur vom Blut eines Menschen stammen konnten und schon leicht eingetrocknet waren.
Rudolf von Zavelsreuth, der eigentlich schon lange hätte tot sein müssen, kam geradewegs auf sie zu. Diesmal war es zu hören. Seine Sohlen schabten und kratzten leise über den harten Boden. Kleine Steine wurden bewegt und klickerten gegeneinander.
Hilde hörte jetzt jedes Geräusch mehr als deutlich. So überspannt waren ihre Sinne.
Ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck der Angst. Große Augen, ein Mund, der halb offenstand. Durch den Spalt saugte sie die Luft ein und stieß sie als warmen Atem wieder aus. Beide Hände hielt sie auf den Boden gestemmt, die Finger waren dabei gekrümmt.
Der Ritter brauchte nur ein paar Schritte, um sein Ziel zu erreichen. Auch ihn umwehte der Wind, packte das Tuch und ließ es leicht flattern. Dann blieb er stehen.
Hilde sah und spürte ihn neben sich. Niemals zuvor wäre es ihr in den Sinn gekommen, einmal einer derartigen Gestalt zu begegnen. Sie hockte auf der harten Erde und wagte es nicht, sich zu bewegen. Selbst das Luftholen erschien ihr gefährlich.
Sie begegnete dem Ritter jetzt zum drittenmal, aber nie hatte er durch Sprache Kontakt mit ihr aufgenommen. Immer war er stumm geblieben, und das änderte sich auch jetzt nicht, als er sein Schwert senkte.
Durch diese Bewegung nahm die Angst der Frau zu. Sie hörte sich schreien, aber dieser Schrei durchschoß nur ihr Gehirn. Er drang nicht aus dem Mund und verklang langsam in ihr, als sich das kalte Metall des Schwerts auf ihren Nacken legte.
Furchtbar…
Er konnte, wenn er wollte, ihren Kopf einfach vom Körper trennen. Bei dieser Schärfe bedurfte es nur eines kleinen Drucks, aber der trat nicht ein.
Rudolf von Zavelsreuth wartete ab.
Hilde saß starr.
Der Ahnherr war stärker als sie. Ihr fielen zahlreiche Worte ein. Nur, als sie versuchte, sie auszusprechen, lösten sie sich in Fragmente auf, und sie konnte nicht reden.
Die Arme des Ritters lagen ebenso frei wie seine Hände. Kein Schutz bedeckte sie, und Hilde nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie sich der andere bewegte.
Eine Hand näherte sich ihr.
Die Finger faßten sie an.
Hilde versteifte, denn die Hand grub sich in ihre linke Schulter, als wollte sie Fleisch, Sehnen und Muskeln zu einem einzigen Brei zusammendrücken.
Sie tat nichts. Sie konnte nichts tun, der andere, der sein Totenreich verlassen hatte, war einfach stärker.
Der Druck blieb. Aber er veränderte sich, denn jetzt zerrte die Hand sie in die Höhe. Dabei fühlte sich Hilde wie eine Puppe. Es fiel ihr schwer, sich normal zu bewegen. Die Glieder wollten ihr nicht gehorchen, und sie sackte in die Knie, kaum daß der Ritter sie auf die Beine gestellt hatte.
Zu Boden fallen ließ er sie nicht. Er zerrte sie wieder hoch. Diesmal blieb Hilde auf den Füßen, auch wenn es ihr nicht leicht fiel.
Dann erhielt sie den Stoß in den Rücken.
Es war ein Zeichen, das wußte sie, aber sie sperrte sich dagegen. Nur zwei, drei Schritte taumelte sie vor, und sie hörte dabei das Klirren der Kettenglieder.
Nein! Nein – nicht wie der Tanzbär in Marokko. Diese Szene vergaß sie nie wieder, aber sie mußte gehen, denn die flache Seite des Schwertes klatschte in ihren Rücken.
Und so bewegte sie ihre Füße.
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