Edelweißpiraten
Kartoffeln reingelegt und Fleisch drüber gebraten. Alles wurde geteilt. Jeder hat die neuesten Geschichten aus seiner Stadt erzählt. Über den Streifendienst zum Beispiel. Was der sich an neuen Gemeinheiten einfallen lässt, und was man dagegen tun kann. Wie man sich vor den ewigen Schikanen im Betrieb schützt. Oder wie man am besten der Polente aus dem Weg geht. Alles hat sich anders und doch irgendwie ähnlich angehört. Tom und ich, wir haben die meiste Zeit nur dagesessen und zugehört. Haben gestaunt, wie viele es gibt, die die gleichen Probleme haben wie wir. Mit denen kann man endlich drüber reden!
Als es dunkel geworden ist, haben einige ihre Gitarren rausgeholt, und wir haben welche von den Liedern kennengelernt, von denen wir schon vorher gehört hatten. Die meisten nehmen die HJ aufs Korn. »Kurze Haare, große Ohren, so ward die HJ geboren.« So fängt eins davon an. Tom und ich konnten uns vor Lachen kaum halten. »Und im Graben der Chaussee« – so geht ein anderes – »liegt der Streifendienst, juchhe, sieht uns starten, Edelweißpiraten, nur mit Schmerz und Weh.«
So haben sich alle genannt da am Felsensee: Edelweißpiraten. Abends am Feuer hat Flint uns erklärt, warum.
»Piraten sind einfach freie Leute«, hat er gesagt. »Segeln hierhin und dahin. Wo’s ihnen gefällt. Machen, was sie wollen. Keiner schreibt ihnen was vor. Und ’n Edelweiß wächst oben im Gebirge. In der Wildnis. Wo keiner hinkommt. Keiner kann es pflücken oder ihm was antun. Es ist ganz wild und frei.«
Als wir uns später schlafen gelegt haben, einfach rund ums Feuer, da hab ich gespürt, was er meint. Es war, als wär die Welt draußen mit den Nazis und dem Krieg und dem ganzen anderen Mist einfach nicht mehr da. Als gäb’s nur noch uns. Uns und die Sterne da oben. Und als könnte uns keiner was anhaben. Es war genau das, wovon Tom und ich immer geträumt haben.
Erst heute Vormittag, nach dem Aufwachen, hat sich die Welt wieder bemerkbar gemacht. Wir waren grade mit dem Frühstück fertig und wollten eigentlich wieder ins Wasser. Da sind ein paar von den Leuten gekommen, die wir als Späher um den See postiert hatten, und haben gemeldet, die HJ ist im Anmarsch. Ich hab Flint gefragt, was die wollen. Er meinte, sie wüssten schon länger, dass wir uns über Pfingsten hier treffen, und jetzt wollten sie wohl mal so richtig unter uns aufräumen. Besonders überrascht hat er nicht ausgesehen. Ich glaub, er hat von Anfang an gewusst, dass sie kommen.
Wir sind den Pfad hochgerannt, und dann haben wir sie schon von weitem gesehen. Sie kamen in ihrer typischen Marschordnung den Berg rauf, immer im Gleichschritt. Wir sind ausgeschwärmt und haben auf sie gewartet. Hoch über dem See, am oberen Rand der Felsen, haben wir sie getroffen, und die Sache ist ohne viel Gerede gleich losgegangen.
Es waren ganz schön viele, auf jeden Fall mehr als wir. Aber wir haben sofort gemerkt, dass sie bis auf ihre Anführer, die üblichen Fanatiker, nicht grade mit dem Herzen bei der Sache sind. Ist ja auch klar: Irgendwer jagt sie raus an ihrem freien Tag, und dann sollen sie sich prügeln und wissen nicht mal, wofür. Wir dagegen haben’s genau gewusst. Nämlich dafür, dass sie uns verdammt noch mal in Ruhe lassen.
Deswegen war’s auch keine Frage, wie die Sache ausgeht. Tom und ich waren trotzdem erst eingeschüchtert. Überall Lärm und Gebrüll, es ist ganz schön heftig zugegangen. Aber irgendwann haben wir Morken und seine Leute in dem Getümmel entdeckt. Da hat’s uns gepackt, mit denen hatten wir noch was offen. Wir sind zu ihnen hin, und dann haben wir unseren Teil zu der Schlacht am Felsensee beigetragen.
Am Ende mussten die Jungs von der HJ das Feld räumen. Ihre Anführer haben gedroht, beim nächsten Mal kämen sie mit der
SS wieder, und überhaupt würden wir ab jetzt unseres Lebens nicht mehr froh. Aber das hat uns nicht interessiert. Wir sind wieder runter zum See und haben unseren Sieg gefeiert. Der Rest des Tages war ein einziger Triumph. Wie die Herrscher der Welt haben wir uns gefühlt!
Irgendwann hat Flint Tom und mich zur Seite genommen und die anderen aus Ehrenfeld dazugerufen. Einige hatten ordentlich was abbekommen und waren am Bluten, aber nicht mal das hat unsere Laune gestört.
»So, jetzt habt ihr gesehen, wie’s bei uns zugeht«, hat Flint gesagt. »Wollt ihr immer noch dabei sein?«
Und ob wir wollten! Jetzt erst recht, haben wir gesagt.
»Na, dann ist ja alles klar. Eure Bewährungsprobe habt
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