Edelweißpiraten
wie üblich ihre klobigen Stiefel anhatten. Die machen zwar ziemlich was her, wenn sie damit über die Straße knallen. Aber man hört sie auch zwei Kilometer gegen den Wind.
Wir haben keine Sekunde gezögert und sind getürmt. Alle in unterschiedliche Richtungen, damit sie erst mal überlegen müssen, wem sie hinterherlaufen sollen. Die meisten haben sich an Flint und Kralle gehalten, weil sie mit denen noch ’n Hühnchen zu rupfen hatten. Aber Tom und mir sind auch welche auf den Fersen gewesen. Wir haben einen Haken nach dem anderen geschlagen, und weil wir in der Gegend jeden Schleichweg kennen, haben wir’s am Ende geschafft, sie abzuschütteln.
Von den anderen haben sie zum Glück auch keinen erwischt – nicht mal Goethe, obwohl er der Langsamste von uns ist. Aber die Sache war ganz schön knapp, und wir haben beschlossen, uns lieber nicht mehr am Neptunbad zu treffen. Der
Platz ist inzwischen zu bekannt. Außerdem ist er viel zu offen, man kann sich nicht verstecken. Deswegen gehen wir jetzt lieber in die Parks. Entweder, wenn wir in der Gegend bleiben wollen, in den Stadtgarten am Venloer Wall, oder gleich in den Volksgarten.
Das ist inzwischen unser Lieblingstreffpunkt. Es gibt Hunderte von versteckten Winkeln zwischen den Büschen, mit Bänken und Blumenbeeten und allem, was so ein Park zu bieten hat. Meistens sind auch Gruppen aus anderen Stadtteilen da, jede hat ihr eigenes Revier. An den Eingängen stellen wir Posten auf. Wenn die den Streifendienst sehen oder die Polizei, springen sie aufs Fahrrad und warnen uns. Dann hauen wir ab, warten irgendwo, bis die Luft rein ist, und kommen später wieder zurück.
Im Volksgarten fühlen wir uns sicher. Ist unser kleines Reich. Der Streifendienst ist zu blöd, uns da zu erwischen. Wenn er kommt, sind wir längst weg. Und wenn er verschwindet, sind wir wieder da. So läuft’s. Inzwischen sind wir fast traurig, wenn die Kerle mal wegbleiben. Dann fehlt uns richtig was.
Ist einfach ein Riesenspaß. Wie ein Spiel. Von mir aus könnte der Sommer ewig dauern!
25. Juli 1941
Inzwischen ist ’ne richtig verschworene Gemeinschaft aus uns geworden. Zehn Leute gehören dazu, und heute haben wir beschlossen, dass es dabei erst mal bleibt. Je mehr wir sind, desto größer ist die Gefahr, dass sich einer verquatscht. Oder dass sonst was Dummes passiert.
Wir versuchen, alles genau anders als in der HJ zu machen. Deshalb haben wir auch keinen Anführer. Keiner befiehlt, keiner muss gehorchen. Obwohl, Flint ist natürlich schon was Besonderes. So was wie unser Käptn. Daher kommt auch sein Name:
von Käptn Flint aus der Schatzinsel. Genau wie der hat er so was Unheimliches. Deshalb hab ich erst ganz schön Manschetten vor ihm gehabt. Aber das ist vorbei. Jetzt bewundere ich ihn eher. Weil er sich nichts sagen lässt. Immer macht, was er für richtig hält. Immer weiß, was zu tun ist. Ich wär auch gern so.
Flints richtigen Namen weiß ich gar nicht. Aber von ein paar anderen auch nicht. Wir reden uns nur mit unseren Piratennamen an. Die richtigen sind unwichtig, kommen aus ’nem anderen Leben. Außerdem kann uns so ruhig mal einer belauschen: Wer wir sind, weiß er danach immer noch nicht.
Flints bester Freund ist Kralle. Ich mag ihn, obwohl ich bisher noch kaum mit ihm gesprochen hab. Er redet wenig, dafür ist er ’n Kerl wie ’n Bär. War schon am Felsensee der Turm in der Schlacht. Schlägt sich als Hilfsarbeiter durch. Tilly hat erzählt, er wär im Heim gewesen, weil seine Eltern früh gestorben sind. Flint hätte ihm mal bei irgendwas aus der Patsche geholfen, und seitdem würd Kralle an ihm hängen, als wär’s sein Bruder. Sie weiß nicht, was es gewesen ist, die beiden reden nicht drüber. Aber eins steht fest: Wer Flint an den Kragen will, hat automatisch Kralle am Hals. Und umgekehrt ist es genauso.
Der Wichtigste nach Flint ist der Lange. Er weiß von uns allen am besten über die Nazis Bescheid, und über alles, was damit zu tun hat. Sein Vater war Kommunist, und überhaupt seine ganze Familie. Die meisten sind nicht mehr da, sind einkassiert worden. Aber er hat viel von ihnen gelernt. Wenn Tom und ich was wissen wollen, von politischen Sachen und so, fragen wir immer ihn. Er ist grade mal ein Jahr älter als wir, so wie Flint und Kralle, aber er weiß unheimlich viel. Wirkt schon total erwachsen. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht daran, dass er so groß ist. Aber nicht nur, da gibt’s noch was anderes.
Ein Sonderfall ist Goethe. Der
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