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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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gewesen? Ich stand auf und blickte mich um. Und dann sah ich sie, ein ganzesStück entfernt, unter den Bäumen: die Gestalt, die im Garten des Wohnheims gestanden hatte.
    Als sie meinen Blick bemerkte, wandte sie sich ab und ging rasch davon. Aber bevor sie das Ende des Friedhofs erreichte und außer Sicht geriet, blieb sie noch einmal stehen. Sie drehte sich um, und jetzt sah ich ihr Gesicht. Es war eine alte Frau. Sie war klein, und selbst auf die Entfernung und durch den Schneefall konnte ich ihre Hasenscharte erkennen.
    Sie zögerte, dann drehte sie sich um und ging. Mein erster Gedanke war, ihr nachzulaufen. Aber ich tat es nicht.
    Ich sah ihr nur nach. Und ließ sie gehen.

21. Mai 1945
    Auf den schrecklichsten Winter folgt der schönste Frühling. So ist es in diesem Jahr. Seit Tagen ist keine Wolke mehr zu sehen. Der Himmel strahlt so blau, dass es in den Augen weh tut.
    Es ist Pfingsten, wir sind zum Felsensee gefahren. Zusammen mit dem Kleinen, um den wir uns kümmern. Keiner außer uns ist hier, wir sind ganz allein. Es ist ’ne merkwürdige Atmosphäre, irgendwie unwirklich. Fast kommt es einem vor, als wär die Zeit stehengeblieben oder als wär man in ’ner anderen Welt gelandet. Keine Bombe ist auf den See gefallen, kein Soldatenstiefel hat die Ufer betreten. Es ist, als hätte der Krieg nie stattgefunden, als wären die ganzen furchtbaren Dinge, die passiert sind, nur Einbildungen aus ’nem anderen Leben.
    Fast zwei Monate ist es noch weitergegangen, nachdem Köln befreit war. Hunderttausende sind in den Tod marschiert. Vollkommen sinnlos – für nichts. Am Ende mussten Jungs, die jünger waren als wir, Berlin verteidigen. Wie die Fliegen sind sie gestorben, heißt es. Als alles verloren war, hat Hitler sich umgebracht. Dann hat die Wehrmacht kapituliert.
Erst
dann. Weil vorher keiner den Mut dazu hatte.
    Grade mal zwei Wochen ist das her. Jetzt sitzen wir in der warmen Frühlingsluft. Ich bin hier oben am Steilufer und schreib an meinem Tagebuch. Irgendwie hab ich’s über die Zeit gerettet, jetzt ist es fast voll. Tom und Flocke sind mit dem Kleinen am Wasser, ich kann sie sehen von hier aus. Frettchen streunt irgendwo rum,
weil er nachsehen will, ob er noch was findet aus der Zeit, als hier die großen Treffen waren.
    Jedes Mal, wenn ich mich daran erinnere, muss ich an die anderen denken. Die, die nicht mehr bei uns sind. Ich seh sie alle wieder vor mir. Den Langen, von dem wir so viel gelernt haben. Goethe mit seinen Liedern. Maja, die immer so traurig war. Kralle, den nie was aus der Ruhe brachte. Flint, unsern Käptn, den wir so bewundert haben. Und Tilly!
    Manchmal ist es für ’n Moment, als wär’s wieder wie damals. Dann wird alles lebendig. Ich seh die Leute in ihren abenteuerlichen Klamotten, hör sie lachen und singen, riech das Lagerfeuer und spür die Sonne und das Wasser und den Schweiß auf der Haut. Und für ’n Augenblick ist es wieder da – dieses unbeschreibliche Gefühl, das wir damals hatten.
    Aber es dauert nie lange, dann geht’s vorbei, und alles verschwindet. Keiner ist da außer uns, und alles ist still. Man hört nur die Vögel – und den Kleinen unten am Ufer. Er hat wieder angefangen zu reden, jetzt plappert er manchmal vor sich hin, als wenn er alles nachholen müsste, was er in den letzten Wochen versäumt hat. Lange wird er nicht mehr bei uns sein, dann nimmt ihn eine von den Frauen aus der Gemeinde zu sich. Ist schon in Ordnung so. Die kann sich besser um ihn kümmern, als wir es könnten.
    Nur ’n Namen, den sollten wir ihm noch geben. An seinen alten erinnert er sich nämlich nicht – oder will sich nicht dran erinnern. Eben ist mir ’ne Idee dazu gekommen. Ich musste an dieses Buch denken, über Robinson Crusoe, der auf ’ner einsamen Insel gestrandet ist. So was Ähnliches sind wir hier am Felsensee auch gewesen: Schiffbrüchige auf ’ner einsamen Insel. Und der Kleine hat auch sein Schiff verloren. Also warum sollten wir ihn nicht danach benennen? Nur ist Robinson kein guter Name, da würden sich alle über ihn lustig machen. Aber wir könnten ihn
nach dem Autor von dem Buch benennen, Daniel hieß der. Ja, warum nicht? Ich werd’s den andern vorschlagen.
    Grade kommt Frettchen von seinem Rundgang wieder. Jetzt wird’s allmählich Zeit für uns zurückzufahren. Wir haben nicht groß drüber gesprochen, aber – eigentlich sind wir wohl hier, um uns zu verabschieden. Ich glaub nicht, dass wir jemals wieder zurückkommen. Es ist besser, sich die

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