Edelweißpiraten
’ne halbe Ewigkeit vor, bis Tom und Frettchen endlich wieder da waren. Aber sie hatten gute Nachrichten, anscheinend hatten sie ’n Fluchtweg gefunden.
»Es geht durch den Keller«, hat Tom geflüstert. »Wenn wir schnell sind, schaffen wir’s. Los, kommt!«
Er und Frettchen sind wieder losgekrochen, ich bin ihnen nach. Dann haben wir gemerkt, dass Flint und Kralle nicht bei uns sind. Wir haben uns umgedreht: Sie lagen immer noch da und machten keine Anstalten mitzukommen.
»Flint!«, hat Tom gerufen. »Wir müssen los!«
Flint hat abgewunken. »Geht schon ohne mich«, hat er gesagt. »Ich halt sie noch ’ne Zeit auf.«
»Das ist Wahnsinn, Mann! Das schaffst du nicht alleine.«
»Dann ist es eben Wahnsinn. Aber ich hab die Schnauze voll, Tom. Ich lauf nicht mehr weg.«
Wir haben versucht, ihn zu überzeugen, dass er mit uns kommen muss. Aber da war nichts zu machen.
»Bin ich euer Käptn oder nicht?«, hat er gefragt.
»Ja, bist du, aber –«
»Und hab ich euch jemals was befohlen?«
»Nein, verdammt.«
»Na, dann hab ich ja wohl ’n Befehl frei. Und den geb ich euch jetzt. Haut ab!«
Er hat sich nach vorn gedreht und auf die Schatten geschossen, die sich durch die Trümmer auf uns zubewegten. Wir konnten sehen, wie sie über die Steine sprangen und dann wieder in
Deckung gingen. Sie waren nicht mehr weit weg. Flint hat ein paarmal auf sie gefeuert, dann hat er sich zu Kralle umgedreht.
»Das gilt auch für dich, Mann!«, hat er zu ihm gesagt. »Verzieh dich!«
Kralle hat den Kopf geschüttelt. »Nä, Flint. Ich jeh nich ohne dich. Da kannse dich auf ’n Kopp stellen.«
Flint hat ihn angesehen, sein Blick lässt sich gar nicht beschreiben. Dann hat er Kralles Pistole genommen, sie neu geladen und ihm wieder in die Hand gedrückt.
»Jetzt macht, dass ihr wegkommt!«, hat er zu uns gesagt. »Wir geben euch Feuerschutz.«
Was konnten wir schon tun? Die Schatten kamen immer näher, wir hatten keine Zeit mehr. Tom hat noch zu Flint und Kralle gesagt, sie sollen so schnell wie möglich nachkommen. Dann sind wir los.
Kaum waren wir weg, haben die beiden wieder angefangen zu schießen. Wir sind weitergerannt. Tom hat uns kreuz und quer durch die Trümmer geführt. Zum Glück hat er’s geschafft, trotz der Dunkelheit den Weg zu finden. Es ging bis zu ’ner Treppe, die nach unten führte. Sie war halb verschüttet, aber ein Spalt war frei, durch den wir kriechen konnten. Irgendwo da unten musste er sein – der Weg, den die beiden gefunden hatten.
Wir sind stehengeblieben und haben zurückgesehen. Da, wo Flint und Kralle waren, blitzte immer noch das Mündungsfeuer auf, und das Knallen ihrer Waffen war zu hören. Aber das Rattern der Maschinenpistolen wurde lauter. Wir konnten die Gestapoleute sehen, wie sie über die Trümmer sprangen und sich zu den beiden hinarbeiteten. Und dann waren ihre Pistolen auf einmal stumm, wahrscheinlich hatten sie ihre letzte Munition verschossen. Ein Pulk von Schatten tauchte auf. Die Maschinenpistolen ratterten, wir sahen die Mündungsblitze. Dann war es still. Entsetzlich still.
Ich war wie betäubt, konnte gar nicht mehr denken. Tom hat mich mitgezogen. Wir sind durch den Spalt runter in den Keller. Frettchen hat seine Taschenlampe angemacht. Alles war verwüstet, zum Teil eingestürzt, aber durch ein Loch in der Wand konnten wir in den Nachbarkeller klettern und von da noch weiter. Die Löcher sind inzwischen überall, damit’s bei ’nem Volltreffer ’n Fluchtweg gibt. Wir sind in einen Keller nach dem anderen, bis es nicht mehr weiterging. Dann sind wir hoch, haben ’ne Tür zum Hinterhof eingetreten, und als wir aus dem rauskamen, waren wir schon in ’ner ganz anderen Straße. So sind wir entkommen, bevor sie die Gegend abgeriegelt haben.
So richtig begriffen, was passiert ist, haben wir alle noch nicht. Den ganzen Tag heute hab ich drauf gewartet, dass Flint und Kralle irgendwo um die Ecke kommen. So lässt sich einer wie Flint doch nicht fertigmachen, hab ich gedacht. Jeder, aber nicht der! Mit dem wird keiner fertig!
Aber natürlich sind sie nicht gekommen. Und sie werden auch nicht mehr kommen. Wir haben zusammengehockt und irgendwie gewusst, dass es das Ende von allem ist. Ohne Flint und Kralle gibt’s uns nicht mehr. Es ist vorbei.
Die Besten gehen immer so früh, hat Tom gesagt. Deshalb wär die Welt ja auch so schlecht. Ich glaub, er hat recht damit. Es musste einfach so kommen. Es ist richtig, dass es so gekommen ist. Es ist gar nicht anders
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