Eden Inc.
hören, dass Sie sagen, dass Sie damit aufhören, und zwar sofort.«
Bei diesen Worten schaute sie wieder auf, ihre Augen funkelten in plötzlicher Verärgerung.
»Das soll wohl ein gemeiner Scherz sein?«, fauchte sie ihn an. »Schauen Sie mich doch an. Schauen Sie sich mein Haus an. Ich hab kaum noch ein Möbelstück. Man hat mir mein Kind weggenommen. Es ist ein ständiger Kampf, es wenigstens alle zwei Wochen mal zu sehen. Oh, Gott ...«
So schnell wie ihr Ärger aufgeflammt war, verschwand er wieder. Tränen liefen über das verwischte Make-up. »Ich habe die Anweisungen des Richters befolgt. Ich habe alles getan, was Sie verlangt haben.«
»Und warum ist meine Post dann wieder verschwunden, Mary? Und wieso werde ich alle Nase lang von jemandem angerufen, der kein Wort sagt?«
»Glauben Sie, das war ich? Glauben Sie, ich könnte es mir leisten, das zu tun? Nach allem, was geschehen ist? Nach dem, was Ihr Richter aus meinem Leben gemacht hat - und aus meinem ...« Der Rest ihrer Worte wurde von einem Schluchzen erstickt.
Lash zögerte. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte. Marys Ärger und Trauer erschienen ihm echt. Doch andererseits empfanden Borderline-Fälle wie sie tatsächlich Verärgerung, Elend und Niedergeschlagenheit, nur eben fehlgeleitet. Und Menschen wie sie waren sehr gute Heuchler und verstanden es, alles zu verdrehen und dem anderen in die Schuhe zu schieben, damit derjenige Schuldgefühle bekam und nicht sie.
»Wie können Sie nur so etwas tun? Mich so verletzen?«, schluchzte sie. »Sie sind doch Psychologe; Sie sollen den Menschen doch helfen ...«
Erneut versagte ihr die Stimme. Lash stand schweigend und zunehmend verunsichert im Türrahmen und wartete darauf, dass sie sich wieder bekrabbelte.
Das Schluchzen erstarb. Kurz darauf richteten Marys Schultern sich wieder auf.
»Wie konnte ich mich nur je zu Ihnen hingezogen fühlen?«, fragte sie leise. »Damals habe ich Sie für einen Menschen gehalten, der sich um andere sorgt, der sie alle beisammen hat. Ein Mann, der ein bisschen geheimnisvoll wirkt.« Sie wischte sich jäh eine Träne ab. »Aber wissen Sie, welchen Schluss ich gezogen habe, als ich eines Nachts allein in meinem leeren Haus lag? Das Rätsel, das Sie umgibt, ist das Rätsel eines Menschen, der innerlich leer ist. Sie sind ein Mensch, der anderen gar nichts
geben kann.«
Mary griff hinter sich, kramte in einer Schachtel auf dem Korridortischchen und fluchte, als sie sah, dass sie leer war.
»Verschwinden Sie«, sagte sie leise und ohne Lash in die Augen zu schauen. »Bitte, verschwinden Sie. Lassen Sie mich in Ruhe.«
Lash musterte sie. Aufgrund alter Gewohnheiten fielen ihm gleich ein halbes Dutzend klinischer Erklärungen ein. Doch als er sie ordnete, erschien ihm keine passend. Also nickte er nur und machte kehrt.
Er startete den Wagen, wendete und fuhr in die Richtung, aus der er gekommen war. Bevor er die Ecke erreichte, steuerte er an den Gehsteig und blieb stehen. Im Rückspiegel sah er, dass die Lampe an der Eingangstür von 9148 Jefferson bereits ausgeschaltet war.
Was hatte Richard Silver in dem sechzig Stockwerke über Manhattan liegenden riesengroßen Raum gesagt? Es ist beruhigend zu wissen, dass Sie uns zur Seite stehen. Doch als Lash hier draußen in die Finsternis starrte, empfand er keinerlei Beruhigung.
19
Als Lash am folgenden Morgen ein Parkhaus in Manhattan verließ, blieb er vor einer Zeitschriftenhandlung im Parterre eines riesigen Wohnhauses stehen, das im Schatten der gegenüberliegenden Gebäude lag. Er trat ein. Sein Blick fuhr rasch über die Schlagzeilen der lokalen und überregionalen Blätter: den Kansas City Star, die Dallas Morning News, das Providence Journal, die Washington Post. Als er keine Meldung über Doppelselbstmorde von glücklich verheirateten Ehepaaren fand, stieß er einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus. Er verließ den Laden, bog rechts auf die Madison Avenue ab und ging zum Eden Building. Jetzt weiß ich, wie Ludwig XVI. sich gefühlt haben muss, dachte er: Jeden Morgen im Schatten des Henkerbeils aufzustehen und nie zu wissen, ob dies der Tag der schlimmsten Enthüllung werden würde.
Obwohl er noch immer müde war, fühlte er sich hinsichtlich der vergangenen Nacht etwas besser. Borderline-Patienten wie Mary English waren ausgezeichnete Lügner und auf ihre eigene Weise Schauspieler. Er hatte das Richtige getan. Er musste für den Fall des Falles ein wachsames Auge auf künftige Anzeichen von
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