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Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Seite liegenden Doppelt entfernt, er beobachtete sie aus seinen blaßblauen Augen. »Um soviel wie möglich von ihm zu erfahren, eh’s mit ihm zu Ende geht?« »So habe ich das nicht gemeint«, erwiderte der Physiker gereizt. »Ich nehme an, dass er sich ähnlich wie ein Mensch verhalten wird. Seine psychische Leistungsfähigkeit wird er sich vielleicht noch ein paar Stunden bewahren, dann folgt Apathie. Du weißt doch, jeder von uns würde an seiner Stelle vor allem an die Erfüllung der Aufgabe denken.«
    Der Doktor zuckte mit den Schultern, sah ihn schief an und musste unwillkürlich lächeln. »Jeder von uns, sagst du? Ja, möglich, wenn er wüßte, was geschehen ist. Aber er wurde ja durch uns verseucht. Durch unsere Schuld!« »Also was? Möchtest du Sühne leisten? Mach dich nicht lächerlich!« Rote Flecke traten auf sein Gesicht.
    »Nein«, sagte der Doktor. »Ich bin nicht einverstanden. Begreifst du nicht? Das da ist ein Kranker« er deutete auf den Doppelt -»und das« - er schlug sich an die Brust - »ein Arzt. Außer dem Arzt hat jetzt hier niemand etwas zu suchen.« »Meinst du?« erwiderte der Physiker dumpf. »Das ist doch unsere einzige Chance. Wir tun ihm ja nichts Böses. Es ist nicht unsere Schuld, dass er …« »Das stimmt nicht! Er wurde verseucht, weil er der Spur des Beschützers gefolgt ist! Und nun genug. Ich muss ihm Blut abnehmen.« Der Doktor trat mit der Spritze an den Doppelt heran, stand eine Weile zögernd vor ihm, ging dann zum Tisch, um eine zweite Spritze zu holen. In beide setzte er Nadeln, die er dem Gamma-Sterilisator entnommen hatte. »Assistiere mir«, sagte er zum Kybernetiker. Er näherte sich dem Doppelt und entblößte den Arm vor seinen Augen. Der Kybernetiker führte ihm die Nadel in die Vene, entnahm ihr etwas Blut und trat zurück. Der Doktor ergriff die zweite Spritze, berührte damit die Haut des Liegenden, suchte das Gefäß heraus, schaute ihm in die Augen und stach dann die Nadel hinein. Der Kybernetiker sah ihm zu. Der Doppelt hatte nicht einmal gezuckt. Sein hellrubinrotes Blut lief in den gläsernen Zylinder. Der Doktor zog geschickt die Nadel heraus, drückte etwas Watte auf die blutende Wunde und ging mit hoch erhobener Spritze hinaus. Die beiden anderen wechselten einen Blick miteinander. Der Kybernetiker hielt noch die Spritze mit dem Blut des Doktors in der Hand. Er legte sie auf den Tisch. »Was nun?« fragte der Kybernetiker. »Er könnte uns alles sagen!« Der Physiker war wie im Fieber. »Aber der … der …« Er sah dem Kybernetiker in die Augen. »Sollte man sie vielleicht doch wecken?« fragte der Kybernetiker. »Das führt zu nichts. Der Doktor wird ihnen dasselbe sagen wie mir. Es gibt nur eine Möglichkeit. Er muss selbst entscheiden. Wenn er es wollte, kann sich der Doktor ihm nicht widersetzen.« »Er?« Der Kybernetiker sah ihn plötzlich verblüfft an. »Nun gut, aber wie soll er denn entscheiden? Er weiß doch nichts. Und wir können es ihm nicht sagen!« »Doch, wir können.« Der Physiker betrachtete noch immer den gläsernen Zylinder mit dem Blut, der neben dem Sterilisator lag. »Wir haben fünfzehn Minuten Zeit, bis der Doktor seine Blutkörperchen gezählt hat. Gib mal die Tafel her!« »Aber das hat doch keinen Sinn . .«
    »Gib die Tafel her!« rief der Physiker und sammelte die herumliegenden Kreidestückchen. Der Kybernetiker nahm die Tafel von der Wand. Sie stellten sie gegenüber dem Doppelt auf.
    »Zuwenig Kreide! Bring die bunte aus der Bibliothek!« Als der Kybernetiker hinausging, nahm der Physiker das erste Stückchen Kreide und zeichnete damit rasch die große Halbkugel, in der sich die Rakete befand. Er fühlte den blaßblauen unbeweglichen Blick auf sich ruhen und zeichnete immer schneller. Als er fertig war, wandte er sich zu dem Doppelt um, blickte ihm fest in die Augen, klopfte mit dem Finger an die Tafel, wischte sie mit dem Schwamm ab und zeichnete weiter. Die Wand der Halbkugel, noch unversehrt. Die Wand, und davor der Beschützer. Der Rüssel des Beschützers und das herausfliegende Geschoß. Er suchte ein Stück lila Kreide, beschmierte damit einen Teil der Wand vor dem Beschützer, zerrieb die Kreide mit dem Finger, so dass darin eine Öffnung entstand. Die Gestalt des Doppelt. Er trat an den liegenden Doppelt heran, berührte seinen Rumpf, kehrte zur Tafel zurück, klopfte mit der Kreide auf den gezeichneten Doppelt, wischte alles so vehement ab, dass Wasser auf den Fußboden spritzte, malte rasch noch

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