Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
einmal die Bresche in der Wand, dick mit lila Farbe umgeben, und in der Öffnung den Doppelt. Dann wischte er alles ringsherum weg. Auf der Tafel blieben nur die Umrisse der großen Gestalt übrig. Der Physiker stellte sich so, dass der Doppelt jede seiner Bewegungen sehen konnte, und begann langsam die zu Pulver zerriebene lila Kreide in die Beine der aufgerichteten Gestalt einzureihen. Er drehte sich um. Der kleine Torso des Doppelt, der vorher an dem vom Doktor aufgeblasenen Gummikissen gelehnt hatte, streckte sich langsam. Sein Gesicht, das gerunzelt war und affenartig wirkte, wandte die vernünftig blickenden Augen von der Tafel ab und richtete sie fragend auf den Physiker.
    Der Physiker nickte, ergriff eine Blechbüchse und ein paar Schutzhandschuhe und rannte aus dem Labor. Im Tunnel wäre er fast mit dem Automaten zusammengestoßen, der ihm Platz machte, als er ihn erkannte. Er lief nach oben, zog im Laufen die Handschuhe an und stürmte in die Richtung, wo sich die vom Beschützer ausgebrannte Bresche befand. Vor dem flachen Trichter stürzte er auf die Knie und riss in größter Eile Stücke des von der Glut erstarrten, verglasten Sandes aus der Erde und warf sie in die Büchse. Dann sprang er auf und lief zur Rakete zurück. Im Labor stand jemand. Der Physiker blinzelte geblendet. Es war der Kybernetiker. »Wo ist der Doktor?« rief er. »Er ist noch nicht zurück.« »Geh mir aus dem Weg. Am besten setz dich dorthin, an die Wand.« Wie vermutet, zeigte der glasige Sand eine blaßlila Farbe. Der Physiker hatte absichtlich ein Stück Kreide von dieser Farbe gewählt. Der Doppelt wandte ihm das Gesicht zu, offenbar hatte er auf ihn gewartet. Der Physiker schüttete den Inhalt der Büchse vor der Tafel auf den Fußboden.
    »Bist du verrückt!« rief der Kybernetiker und sprang von seinem Platz auf. Der Zähler am anderen Tischende war erwacht und begann rasch zu ticken. »Sei still! Stör mich bitte nicht!«
    In der Stimme des Physikers schwang solche Wut mit, dass der Kybernetiker wie angewurzelt an der Wand stehenblieb. Der Physiker warf einen Blick auf die Uhr. Zwölf Minuten waren vergangen. Gleich konnte der Doktor zurückkehren. Er bückte sich, deutete auf die trüben, lilafarbenen Brocken des halbgeschmolzenen Sandes. Er hob eine Handvoll davon auf, drückte sie mit der offenen Hand an die Stelle, wo die Beine des Stehenden mit lila Kreide angedeutet waren, zerrieb ein paar Sandkrümel auf der Zeichnung und blickte dem Doppelt in die Augen. Dann schüttete er den Rest des Staubs auf den Fußboden, trat ein paar Schritt zurück und ging dann mit entschlossenen Schritten nach vorn, als ob er weit gehen wollte, trat in die Mitte des lila Flecks, stand eine Weile so, schloss die Augen und ließ sich langsam mit gelockerten Muskeln fallen. Dumpf schlug sein Körper auf den Fußboden. So lag er ein paar Sekunden, dann sprang er auf, rannte zum Tisch, ergriff den Geigerzähler, trug ihn wie einen Scheinwerfer vor sich her und trat an die Tafel. Kaum hatte sich die Mündung des schwarzen Zylinders den mit Kreide gezeichneten Beinen genähert, ließ sich ein heftiger Wirbel vernehmen. Der Physiker schob mehreremal den Zähler an die Tafel und zog ihn zurück, um den Effekt vor dem unbewegt zuschauenden Doppelt zu wiederholen, dann wandte er sich ihm zu und schob die Mündung des Geigerzählers langsam an seine entblößten Sohlen heran. Der Zähler schnurrte. Der Doppelt stieß einen schwachen Laut aus, als hätte er sich verschluckt. Ein paar Sekunden lang - dem Physiker kamen sie wie eine Ewigkeit vor sah er ihm in die Augen, mit einem blassen, forschenden Blick. Dem Physiker traten die Schweißtropfen auf die Stirn. Da lockerte der Doppelt plötzlich den Torso, schloss die Augen und ließ sich ohnmächtig auf die Kissen sinken; die knotigen Fingerchen beider Hände spannten sich seltsam. So ruhte er eine Weile wie ein Toter. Plötzlich schlug er die Augen auf, setzte sich auf und starrte dem Physiker ins Gesicht. Der nickte, stellte den Apparat auf den Tisch, stieß mit dem Fuß an die Tafel und sagte dumpf zum Kybernetiker: »Er hat begriffen.« »Was hat er begriffen?« stammelte der Kybernetiker, der die Szene entgeistert verfolgt hatte. »Dass er sterben muß.« Der Doktor trat ein, sah die Tafel, die glasigen Krümel auf dem Boden, blickte sie an. »Was ist hier los? Was bedeutet das?« »Nichts Besonderes. Du hast mittlerweile schon zwei Patienten.« Der Physiker nahm, als der Doktor ihn verblüfft

Weitere Kostenlose Bücher