Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
untersuchen, soviel sie wollten. Ich glaube, sie hatten keine Ahnung von ihrem wirklichen Zweck, vielmehr dünkten sie ihnen Götzenbilder, da sie sahen, wie sorgfältig wir sie behandelten und wie aufmerksam wir die Wilden überwachten, während sie sich damit beschäftigten. Der Anblick der großen Kanonen verdoppelte ihr Erstaunen. Sie nahten ihnen mit Ehrerbietung und Zagen und wagten nicht, sie des näheren zu untersuchen. In der Kajüte waren zwei hohe Spiegel, und hier erreichte die Verwunderung ihren Gipfel. Tuwit näherte sich ihnen zuerst, und er stand in der Mitte des Raumes, bevor er ihrer gewahr wurde. Er hob die Augen auf und sah sein Spiegelbild in der Wand. Ich dachte, er würde verrückt werden. Er machte rasch kehrt und erblickte sich nun auf der anderen Seite ein zweites Mal. Da fürchtete ich, er würde stracks den Geist aufgeben. Es war unmöglich, ihn zu nochmaligem Hinschauen zu bewegen; er warf sich auf den Boden hin, verbarg sein Gesicht in den Händen und verblieb in dieser Lage, so daß wir ihn aufs Verdeck schleppen mußten.
Sämtliche Wilden kamen so nach und nach an Bord, immer zwanzig auf einmal; Tuwit durfte die ganze Zeit über bleiben. Es waren keine Diebe unter ihnen; wir vermißten nach ihrem Weggang keinen einzigen Gegenstand. Während des ganzen Besuches zeigten sie das freundlichste Verhalten. Doch einige Züge in ihrem Benehmen blieben uns unverständlich; so z. B. konnte sie kein Mensch dazu überreden, sich gewissen harmlosen Gegenständen zu nähern: den Segeln des Schoners, einem Ei, einer Pfanne mit Mehl darin. Wir versuchten zu erfahren, ob sie irgendwelche Gegenstände besäßen, die man durch Tausch erhandeln könnte; aber sie schienen uns nicht recht zu verstehen. Doch entnahmen wir ihren Zeichen, daß die Insel voll von großen Galapagos-Schildkröten sei, was uns nicht wenig verwunderte; eine davon sahen wir im Kanu Tuwits. Auch sahen wir » biche de mer« in den Händen der Schwarzen; sie verzehrten es gierig im natürlichen Zustand. Diese Seltsamkeiten – in Anbetracht der geographischen Breite mußten sie als solche erscheinen – erregten in Kapitän Guy den Wunsch, die Gegend gründlich zu erforschen, in der Hoffnung, Gewinn aus seiner Entdeckung zu ziehen. Sosehr ich auch wünschte, die Insel näher kennenzulernen, so hegte ich doch ein noch sehnlicheres Verlangen, die Reise nach Süden ohne Verzug fortzusetzen. Wir hatten jetzt schönes Wetter, aber wer konnte sagen, wie lange es dauern würde? Wir waren am vierundachtzigsten Grad, vor uns lag offenes Meer, eine starke Strömung zog nach Süden, der Wind war günstig ... wie sollte ich da geduldig auf den Vorschlag hören, länger hier zu verweilen, als für die Gesundheit der Leute nötig war? Ich stellte dem Kapitän vor, daß wir hier auf der Rückkehr im Notfall überwintern könnten. Endlich hörte er auf mich – ich weiß kaum, wie ich allmählich einen gewissen Einfluß auf ihn erlangt hatte –, und es wurde beschlossen, daß wir hier nur eine Woche bleiben und dann, solange es möglich war, nach Süden vordringen sollten. Wir trafen somit alle nötigen Anstalten, und unter Tuwits Führung lotsten wir die »Jane« sicher durch das Riff und gingen etwa eine Meile vom Strand vor Anker, in einer trefflichen, völlig vom Land umschlossenen Bucht, an der Südostküste der Hauptinsel, bei zehn Faden Tiefe; der Grund war schwarzer Sand. An der Spitze der Bucht sollten drei schöne Quellen entspringen, mit gutem Wasser, und wir sahen in der Umgebung eine Menge Wald. Die vier Kanus folgten uns in achtungsvoller Entfernung. Tuwit blieb bei uns und lud uns nach dem Fallen des Ankers ein, ihn ans Land zu begleiten und sein Dorf im Innern durch unsern Besuch zu ehren. Kapitän Guy stimmte zu. Zehn Wilde blieben als Geiseln an Bord, und eine Abteilung der Unsern, bestehend aus zwölf Mann, machte sich bereit, dem Häuptling zu folgen. Wir sorgten für gute Bewaffnung, ohne mißtrauisch erscheinen zu wollen. Der Schoner hatte die Kanonen schußfertig, die Enternetze aufgespannt, und jede Vorkehrung gegen einen Überfall war getroffen. Der Oberbootsmann durfte in unsrer Abwesenheit niemand an Bord lassen, und im Falle, daß wir länger als zwölf Stunden ausblieben, sollte der Kutter, mit einer Drehbasse versehen, die Küsten der Insel entlang nach uns fahnden.
Mit jedem Schritt drängte sich uns die Überzeugung auf, daß wir uns in einer Gegend befanden, die keiner bisher von zivilisierten Menschen besuchten
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