Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
einherzieht, daß er sein Staatskleid angezogen hat, daß er eben mit eigener Hand tausend gefesselte israelitische Gefangene getötet hat. Für diese heroische Tat erhebt das Lumpenkerlchen ihn bis zum Himmel. Horch! Dort kommt eine Gruppe von Leuten derselben Sorte. Sie haben eine lateinische Hymne auf die Heldenhaftigkeit des Königs verfaßt und singen sie beim Dahinschreiten:

    Mille, mille, mille,
    Mille, mille, mille
    Decollavimus, unus homo!
    Mille, mille, mille, mille decollavimus!
    Mille, mille, mille!
    Vivat qui mille, mille occidit !
    Tantum vini habet nemo,
    Quantum fudit sanguinisi!

    Was etwa folgendermaßen zu übersehen ist:
    Tausend, tausend, tausend,
    Tausend, tausend, tausend
    Von uns, durch einen Krieger, vernichtet!
    Tausend, tausend, tausend, tausend,
    Verkündet, daß tausend der Starke gerichtet!
    Der König soll leben!
    Die Feinde erbeben!
    Ihm, der tausend kalt gemacht,
    Ein Hoch dem Königssproß,
    Der des Blutes mehr vergoß,
    Als Syrien je an Wein gebracht!«

    »Hören Sie die Trompetenfanfaren?«
    »Ja, der König kommt. Sehen Sie! Das Volk ist außer sich vor Begeisterung, sie erheben ihre Augen verzückt gen Himmel. Er kommt, er naht! Da ist er!«
    »Wer? Wo? Der König? Ich kann ihn nicht erblicken, – kann wirklich nicht behaupten, daß ich ihn sehe.«
    »Dann müssen Sie blind sein.«
    »Wohl möglich. Ich sehe aber wirklich nichts als eine tumultuarische Menge von Idioten und Irrsinnigen, die sich vor einer riesigen Giraffe in den Staub werfen und sich um eine Berührung ihrer Hufe bemühen. Sehen Sie. Eben hat die Bestie einen aus dem Schwarm niedergetreten – noch einen – und noch und noch einen. Ich muß das Tier tatsächlich wegen des geschickten Gebrauchs bewundern, den es von seinen Füßen macht.«
    »Dieser Pöbelhaufe. Aber das sind ja die edlen, freien Bürger von Epidaphne! Bestie, sagten Sie? Nehmen Sie sich in acht, daß niemand dies Wort vernimmt. Sehen Sie nicht, daß das Tier ein Menschenantlitz trägt? Mein Lieber, dieser ›Kamelopard‹ ist niemand anders als Antiochus Epiphanes – Antiochus der Große, König von Syrien, der mächtigste aller orientalischen Autokraten. Es ist nicht zu leugnen, daß man ihn auch manchmal Antiochus Epimanes (Antiochus den Tollen) nennt, aber das liegt nur daran, daß nicht alle Menschen fähig sind, seinen Verdiensten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man muß auch zugestehen, daß er sich augenblicklich in einer Tierhaut verbirgt und sich alle Mühe gibt, die Rolle eines Kameloparden zu spielen; aber das tut er nur, um seine Königswürde mehr zu betonen. Im übrigen ist der König von riesenhafter Gestalt, und darum ist für ihn diese Tracht weder zu groß noch unvorteilhaft. So können wir uns also darauf verlassen, daß er sie nur angenommen hat, um bei einer besonderen Gelegenheit außergewöhnlich prunkvoll aufzutreten. Sie werden doch zugeben, daß die Niedermetzelung von tausend Juden ein würdiger Anlaß dazu ist. Wie hoheitsvoll und würdig wandelt der Monarch auf allen vieren dahin! Sie bemerken, daß seine zwei Lieblingskonkubinen, Elline und Argelais, seinen Schwanz hoch halten. Seine ganze Erscheinung wäre unendlich einnehmend, wenn nicht die Augen so aus dem Kopfe hervorquellen würden und das Gesicht nicht eine so unbeschreiblich widerliche Farbe zeigte – eine Folge des im Übermaß genossenen Weines. Wir wollen ihm zum Hippodrom folgen und dem Triumphgesang lauschen, den er anstimmt:
    Wer herrscht außer Epiphanes?
    Sagt es mir doch.
    Wer herrscht außer Epiphanes?
    Hurra! Hoch!
    Keiner außer Epiphanes
    Im Weltenhaus!
    So reißt die Tempel nieder,
    Und löscht die Sonne aus!
    Schön und wacker gesungen. Die Volksmenge ruft ihm ›Fürst der Dichter‹ ›Ruhm des Ostens‹, ›Wonne des Weltalls‹, ›wunderherrlichster Kamelopard‹ zu. Sie haben nach einer Wiederholung seines Gesanges verlangt, und – hören Sie? er singt ihn noch einmal. Sobald er am Hippodrom angelangt sein wird, wird man ihn mit dem Dichterkranz schmücken, dem Vorläufer des Kranzes, der ihn nach seinem Siege bei den nächsten olympischen Spielen schmücken wird.«
    »Aber, beim Zeus, was ist denn in der Menge hinter uns für eine Bewegung?«
    »Hinter uns, sagten Sie? O ja! Ich sehe. Es ist gut, mein Freund, daß Sie mich beizeiten darauf aufmerksam machten. Lassen Sie uns schnell ein Planchen gewinnen, wo wir uns in Sicherheit befinden. Verstecken wir uns hier im Bogen dieses Aquädukts, und ich will Sie dort gleich über

Weitere Kostenlose Bücher