Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
Taba nach einer wildbewegten Herrschaft von elf Jahren: all das sind so stark in die Augen fallende Umstände, daß sie von den Geschichtsschreibern seiner Zeit mehr in Betracht gezogen wurden als die gottlosen, feigen, grausamen, albernen und phantastischen Taten, die bei einer klaren Darstellung seines Privatlebens und deines Rufes nicht fehlen dürfen.
    * * *
    Stellen wir uns nun, teuerster Leser, vor, daß wir uns im Jahre Dreitausendachthundertdreißig befinden. Stellen wir uns für kurze Zeit weiter vor, daß wir uns in der allertollsten Stadt menschlichen Wohnens, im großen Antiochien befinden. Zwar gab es in Syrien und in andern Ländern sechzehn Städte desselben Namens, außer dem Antiochien, von dem wir hier sprechen. Aber unsrer Stadt ward allgemein der Name Antiochia Epidaphne beigelegt, da sie in der Nähe des kleinen Dorfes Daphne lag, wo der Tempel dieser Gottheit stand. Der Erbauer war Seleukus Nikator (obwohl allerdings darüber Meinungsverschiedenheiten bestehen), der erste König des Landes nach Alexander dem Großen; die Gründung wurde zum Gedächtnis seines Vaters Antiochus so genannt und wurde sogleich die Residenzstadt der syrischen Könige. In den blühenden Zeiten des römischen Kaiserreichs war sie gewohnheitsmäßig der Aufenthaltsort der Präfekten der orientalischen Provinzen. Viele von den Kaisern der weltbeherrschenden Stadt (unter denen wir ganz besonders Verus und Valens nennen wollen) verbrachten hier den größten Teil ihres Lebens. Aber siehe, wir sind ja schon in der Stadt selbst. Wir besteigen die Zinne dort und werfen einen Blick auf die Stadt und ihre Umgebung.
    »Welch breiter und schnell dahinschießender Fluß bahnt sich vor unserm Auge in unzähligen Wasserfällen seinen Weg durch die Bergwildnis und zum Schluß durch das Chaos der Gebäudemassen?«
    »Das ist der Orontes, außer dem Mittelmeer die einzige in Sicht liegende Wasserfläche, die gleich einem ungeheuren Spiegel sich etwa zwölf Meilen südwärts erstreckt. Jedermann hat wohl das Mittelmeer schon gesehen, aber wenige haben noch einen Blick auf Antiochia geworfen. Wenn ich von wenigen spreche, so meine ich, wenige von denen, die, gleich dir und mir, die Vorteile moderner Erziehung genossen haben. Höre also auf, nach jenem Meer hinzublicken, und wende deine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Häusermeere zu, das sich uns zu Füßen ausbreitet. Aber vergiß bitte nicht, daß wir jetzt das Jahr Dreitausendachthundertdreißig schreiben. Wäre es später (ständen wir zum Beispiel im Jahre Achtzehnhundertfünfundvierzig), so würden wir auf den Genuß dieses außerordentlichen Anblickes verzichten müssen. Im neunzehnten Jahrhundert befindet sich Antiochia – das heißt, Antiochia wird sich befinden – in einem Zustand jammervollen Verfalles. Wir würden es durch drei, zu verschiedenen Zeiten stattgehabte Erdbeben vollständig zerstört finden. Das Wenige, was von der früheren Stadt noch übrig geblieben wäre, würde so zerstört und verwahrlost sein, daß der Patriarch seine Residenz nach Damaskus verlegt hätte. Also gut. Ich sehe, daß Sie meinen Rat befolgen und Ihre Zeit gut benützen, indem Sie sich gründlich umsehen und
    ... über die Reliquien
    Und Ruhmeszeichen, die dort jene Stadt auszeichnen,
    Die Augen schweifen lassen.
    Ich bitte um Entschuldigung, ich hatte vollkommen vergessen, daß Shakespeare erst in siebenhundert Jahren leben wird. Aber habe ich nicht recht, wenn ich behaupte, daß Epidaphne grotesk sei?«
    »Es ist wohl befestigt; Kunst und Natur wetteifern darin, es zu beschützen.«
    »Das stimmt.«
    »Eine überraschend große Anzahl stolzer Paläste zieren es.«
    »Jawohl.«
    »Und die zahlreichen prunkvollen und glänzenden Tempel können sich wohl mit den hervorragendsten des Altertums messen.«
    »Auch dies muß ich zugeben. Immerhin gibt es hier eine Menge Lehmhütten und unsauberer Schuppen. In jedem Loch und in jeder Ecke bemerken wir Unrat, und wenn nicht die überall schwebenden Weihrauchwolken wären, so zweifle ich nicht, daß wir unter einem unausstehlichen Gestank zu leiden hätten. Haben sie jemals so unausstehlich enge Straßen, so unglaublich hohe Häuser gesehen? In welche Düsterkeit hüllen ihre Schatten alles! Man tut wohl daran, die Hängelampen in den endlosen Kolonnaden den ganzen Tag über brennen zu lassen, sonst würden wir hier die ägyptische Finsternis in ihrem schlimmsten Stadium haben.«
    »Ein merkwürdiger Ort. Was soll jenes erstaunliche Gebäude dort drüben

Weitere Kostenlose Bücher