Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
sein Gesicht völlig blutleer. Er hatte einen großen, beweglichen Mund und so unregelmäßige, wenn auch kerngesunde Zähne, wie ich sie nie an einem Menschengebiß gesehen habe. Trotzdem aber waren seine Züge, wenn er lächelte, durchaus nicht so unangenehm, wie man etwa erwartet hätte, aber sie zeigten nie eine Abwechslung. Immer lag eine tiefe Melancholie, eine unveränderliche, unzerstörbare Schwermut darin. Seine unnatürlich großen und runden Augen glichen denen einer Katze, und auch seine Pupillen reagierten auf jede Verstärkung oder Verminderung des Lichtes genau wie bei den katzenartigen Tieren durch Zusammenziehen oder Ausdehnung. In Augenblicken der Erregung wurden die Augäpfel in fast unbegreiflichem Maße glänzend. Sie schienen dann leuchtende Strahlen auszusenden, und zwar war es kein zurückgeworfenes, sondern ein Eigenlicht, wie es eine Kerze oder die Sonne hat. Unter gewöhnlichen Umständen aber waren sie so völlig trüb und verschleiert und sahen so stumpf aus, daß sie an die Augen eines längst begrabenen Leichnams erinnerten.
Diese persönlichen Eigentümlichkeiten schienen ihm viel Verdruß zu bereiten, und er pflegte immer wieder, sie halb erklärend, halb entschuldigend, darauf anzuspielen, was mich, als ich es zum erstenmal hörte, sehr peinlich berührte. Ich gewöhnte mich aber bald daran, und es störte mich schließlich nicht mehr. Seine Absicht war offenbar, wenn er das auch nicht direkt aussprach, durch seine Worte den Anschein zu erwecken, er habe nicht immer so ausgesehen, sondern erst infolge häufiger nervöser Anfälle seine frühere ungewöhnliche Schönheit verloren. Seit vielen Jahren befand er sich in der Pflege eines Arztes namens Templeton, eines alten Herrn von vielleicht siebzig Jahren, den er zuerst in Saratoga kennen gelernt hatte. Seine Behandlung hatte ihm sehr geholfen, wenigstens glaubte er das, und da Bedloe wohlhabend war, so hatte er mit Dr. Templeton abgemacht, daß dieser gegen eine sehr reichliche jährliche Entschädigung seine ganze Zeit und ärztliche Erfahrung ausschließlich der Pflege des Kranken widmete.
Dr. Templeton war in seiner Jugend viel in der Welt herumgekommen und in Paris ein begeisterter Anhänger der Lehre Mesmers geworden. Durch magnetische Behandlung gelang es ihm, die heftigen Schmerzen seines Patienten zu mildern und ihm durch diesen Erfolg ein großes Vertrauen gerade zu dieser Heilweise einzuflößen. Der Doktor bemühte sich natürlich wie alle Enthusiasten, seinen Schüler zu einem ebenso fanatischen Anhänger zu bekehren, und brachte es auch so weit, daß der Kranke sich allen möglichen Experimenten unterwarf. Ihre häufige Wiederholung führte zu einem Resultat, das zwar heute zu häufig geworden ist, um besonderes Aufsehen zu erregen, das aber zu der Zeit, über die ich schreibe, in Amerika fast ganz unbekannt war. Ich meine nämlich, daß sich zwischen Dr. Templeton und Bedloe nach und nach ein auffallend starker magnetischer Rapport gebildet hatte. Ich kann nicht bestimmt behaupten, daß dieser Rapport über die einfache Kraft zum Einschläfern hinausging, jedenfalls war sie aber sehr groß geworden. Die ersten Versuche zu magnetischen Einschläferungen waren dem Mesmeristen völlig mißlungen, erst die fünfte oder sechste Sitzung hatte zu einem Teilerfolg geführt. Aber bei der zwölften war der Triumph vollkommen gewesen, und von da ab unterlag der Wille des Patienten sehr schnell dem des Arztes, so daß, als ich zuerst mit den beiden bekannt wurde, der Schlaf durch den einfachen Willen des Hypnotiseurs eintrat, selbst wenn der Kranke nichts von seiner Anwesenheit wußte. Erst heute, im Jahre 1845, da ähnliche Wunder zu Tausenden berichtet werden, darf ich diese anscheinende Unmöglichkeit als wirkliche Tatsache berichten.
Bedloe hatte ein außerordentlich sensitives, erregbares und enthusiastisches Temperament. Seine Einbildungskraft war ungewöhnlich stark und schöpferisch und wurde noch gesteigert durch den regelmäßigen Gebrauch von Morphium, das er in großen Mengen einnahm, bis er ohne dieses Reizmittel gar nicht mehr leben konnte. Er hatte es sich angewöhnt, jeden Morgen eine große Dosis nach dem Frühstück einzunehmen – oder vielmehr unmittelbar nach einer Tasse starken Kaffees, da er vormittags gar nichts aß. Er pflegte dann, allein oder nur von einem Hunde begleitet, einen langen Ausflug nach einer Kette wilder oder öder Hügel zu machen, die westlich und südlich von Charlottesville liegen und
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