Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
bestätigt sich diese Vermutung stets sofort dadurch, daß der Schläfer erwacht. Novalis hatte schon recht mit seinem Ausspruch, wir seien dem Erwachen nahe, wenn wir träumten, daß wir träumen. Hätte ich das alles gesehen, ohne dabei an einen Traum zu denken, dann wäre es sicher ein Traum gewesen, so aber, da ich die Wirklichkeit des Gesehenen anzweifelte und mich von ihr überzeugte, muß ich die Annahme eines Traumes abweisen.«
    »In dieser Beziehung haben Sie vielleicht nicht unrecht«, bemerkte Dr. Templeton, »aber bitte, fahren Sie fort. Sie erhoben sich und stiegen in die Stadt hinab.«
    »Ich erhob mich und stieg in die Stadt hinab«, fuhr Bedloe fort, indem er den Doktor mit einem Ausdruck des tiefsten Erstaunens ansah. »Auf meinem Wege geriet ich in eine ungeheure Menschenmenge, die von einer wilden Erregung erfaßt war und sich durch alle Straßen nach einer bestimmten Richtung drängte. Ganz plötzlich und mit einem unbegreiflichen Antrieb erfüllte mich ein starkes persönliches Interesse an allem, was vorging. Ich hatte die Empfindung, als spielte ich eine wichtige Rolle dabei, obgleich ich nicht genau wußte, warum das so war. Gegen die Menge, die mich umgab, fühlte ich aber einen tiefen Widerwillen. Ich wich vor ihr zurück, schlug schnell einen gewundenen Weg ein und erreichte so die Stadt. Hier herrschte überall der wildeste Tumult und Aufruhr. Ein kleiner Haufen von Männern in halb indischer, halb europäischer Kleidung, der von Offizieren in englischer Uniform befehligt wurde, kämpfte in großer Minderzahl mit dem wachsenden Schwarm der Aufrührer. Ich ging zu der schwächeren Partei, nahm die Waffen eines gefallenen Offiziers und kämpfte, ohne zu wissen warum, mit der wilden Tapferkeit der Verzweiflung. Wir wurden bald durch die Überzahl zurückgedrängt und mußten in einer Art Pavillon eine Zuflucht suchen. Hier verbarrikadierten wir uns und waren, wenigstens für den Augenblick, in Sicherheit. Durch eine Luke am Dach des Pavillons bemerkte ich eine riesige Volksmenge, die in wütender Erregung einen herrlichen Palast über dem Flußufer umgab und ihn zu stürmen suchte. Kurz darauf ließ sich ein weibisch aussehender Mann von einem der oberen Fenster des Palastes an einem aus Turbanen angefertigten Strick herab. Ein Boot stand bereit, und er entkam darauf nach dem gegenüberliegenden Flußufer.
    Ein neuer Gedanke überkam mich jetzt plötzlich. Mit ein paar kurzen, feurigen Worten wandte ich mich an meine Gefährten, und es gelang mir, einen Teil von ihnen zu überreden, mit mir einen tollen Ausfall aus dem Pavillon zu machen. Wir stürmten gegen die uns umgebende Menge, und es gelang uns, sie anfangs in die Flucht zu treiben. Sie sammelten sich aber wieder, kämpften wie wahnsinnig und wichen aufs neue zurück. Inzwischen waren wir aber weit ab von dem Pavillon geraten und verirrten uns in ein Durcheinander enger Gassen mit hohen, überhängenden Häusern, die keinen Sonnenstrahl zur Erde kommen ließen. Die Menge bedrängte uns mit wechselnder Wut, bedrohte uns mit Speerwürfen und überschüttete uns mit einem Hagel von Pfeilen. Diese Pfeile waren seltsam geformt und glichen ein wenig den krummen Dolchen der Malaien. Sie ahmten die Gestalt einer kriechenden Schlange nach, waren lang und schwarz und hatten vergiftete Widerhaken. Einer traf mich an die rechte Schläfe, so daß ich taumelte und hinfiel. Sofort ergriff mich eine entsetzliche Übelkeit, ich krümmte mich, rang nach Atem – und starb.«
    »Sie können doch schwerlich jetzt noch behaupten«, unterbrach ich ihn lächelnd, »daß Ihr ganzes Abenteuer kein Traum gewesen ist. Oder wollen Sie dabei bleiben, daß Sie tot sind?«
    Auf meine Worte erwartete ich natürlich eine scherzhafte Entgegnung von Bedloe. Zu meinem Erstaunen zögerte er aber, zitterte und wurde entsetzlich bleich. Er sprach kein Wort. Ich sah Templeton an. Dieser saß aufrecht und starr auf seinem Stuhl, seine Zähne klapperten, und seine Augen traten fast aus den Höhlen. »Fahren Sie fort«, sagte er schließlich mit rauher Stimme zu Bedloe.
    »Viele Minuten lang«, begann dieser wieder, »war meine einzige Empfindung, mein einziges Gefühl das von Dunkelheit und Nichtsein, ich wußte, daß ich tot war. Schließlich schien ein heftiger und plötzlicher Schlag durch meine Seele zu gehen, wie von Elektrizität. Zugleich kam die Empfindung von Beweglichkeit und von Licht. Dieses Licht sah ich nicht, ich fühlte es. In einem Augenblick schien ich mich

Weitere Kostenlose Bücher