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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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hinzu, habe vor einigen fahren die Bekanntschaft Maillards gemacht und wolle mir gern den Gefallen tun, mich bis ans Tor zu begleiten und einzuführen, wenngleich seine Antipathie gegen den Anblick Wahnsinniger ihm den Eintritt in das Haus selbst unmöglich mache.
    Ich dankte ihm, und wir verließen also die Landstraße und schlugen einen grasbewachsenen Seitenpfad ein, der sich nach einer halben Stunde in einem dichten Walde am Fuße eines Berges fast verlor. Durch diesen düstern Wald waren wir an die zwei Meilen geritten, als wir die Maison de Santé vor uns sahen. Es war ein phantastisches, halb verfallenes Schloß, das durch Alter und Verwahrlosung kaum mehr bewohnbar schien. Sein Anblick erfüllte mich geradezu mit Grausen, ich hielt mein Pferd an und wollte umkehren. Dann schämte ich mich jedoch meiner Schwäche und ritt weiter.
    Als wir ans Tor kamen, sah ich, daß es ein wenig offen stand und ein Mann durch den Spalt spähte. Einen Augenblick später trat er heraus, nannte meinen Begleiter bei Namen, schüttelte ihm freundschaftlich die Hand und bat ihn abzusteigen. Es war Herr Maillard selber, ein würdiger, vornehmer älterer Herr mit ernster, überlegener Miene, die auf mich Eindruck machte.
    Mein Freund stellte mich vor, sprach von meinem Wunsch, die Anstalt zu besichtigen, und erhielt von Herrn Maillard die Versicherung, daß er meinem Verlangen bereitwillig Rechnung tragen werde. Hierauf verabschiedete er sich und ritt davon.
    Als er fort war, nötigte mich der Direktor in ein kleines, sehr hübsches Empfangszimmer, das neben anderen Zeichen eines vornehmen Geschmacks viele Bücher, Zeichnungen, blumengefüllte Vasen und Musikinstrumente aufwies. Ein behagliches Feuer brannte im Kamin. Am Klavier saß eine schöne, junge Dame und sang eine Arie von Bellini; bei meinem Eintritt hielt sie inne und begrüßte mich mit anmutiger Höflichkeit. Sie hatte eine sanfte Stimme, und ihr ganzes Wesen war weich und schwermütig. Ich glaubte auch in ihrem Antlitz, das ungewöhnlich bleich war, einen Zug von Trauer zu finden. Sie war tiefschwarz gekleidet und erregte in meinem Herzen ein Gefühl von Respekt, Teilnahme und Bewunderung.
    Ich hatte in Paris davon gehört, in dem Institut des Herrn Maillard werde das sogenannte »Besänftigungs-System« angewendet, d.h. Strafen wurden vermieden, und selbst Einzelhaft wurde nur selten verhängt – vielmehr ließ man den Patienten, die nur heimlich überwacht wurden, möglichst viel Freiheit; die meisten durften in Haus und Garten frei umhergehen, als seien sie bei voller Vernunft.
    Dieser Information erinnerte ich mich jetzt und nahm mich daher in meinem Gespräch mit der jungen Dame in acht; ich wußte nicht, ob sie nicht zu den Kranken zähle; und tatsächlich hatte ihr glänzendes Auge etwas Rastloses, Flackerndes, das mir verdächtig vorkam. Ich beschränkte meine Bemerkungen daher auf gleichgültige Dinge, von denen ich dachte, daß sie einem Irren weder mißfallen noch ihn aufregen könnten. Sie antwortete auf alles, was ich sagte, vollkommen vernünftig, und sogar ihre selbständigen Äußerungen trugen den Stempel klarer Vernunft. Indessen hatte mich eingehende Kenntnis der Geisteskrankheiten und ihrer Wandlungen gelehrt, diesen scheinbaren Beweisen von Gesundheit nicht zu trauen, und ich setzte die Unterhaltung ebenso vorsichtig fort, wie ich sie begonnen hatte.
    Ein Diener in hübscher Livree trat ein und brachte ein Tablett mit Obst, Wein und sonstigen Erfrischungen, die ich mir schmecken ließ; bald darauf verließ die Dame das Zimmer. Als sie gegangen, blickte ich meinen Gastgeber fragend an.
    »Nein,« sagte er, »o nein – die Dame ist ein Glied meiner Familie – meine Nichte, eine höchst gebildete Dame.«
    »Ich bitte tausendmal um Verzeihung für den Verdacht,« erwiderte ich, »Sie werden aber gewiß eine Entschuldigung für mich finden. Das ausgezeichnete System, mit dem Sie Ihre Anstalt leiten, ist in Paris bekannt, und ich hielt es daher gut für möglich – Sie verstehen ...«
    »Ja, ja – es bedarf keiner Worte – oder vielmehr sollte ich Ihnen danken für die liebenswürdige Klugheit, mit der Sie vorgingen. Wir finden selten so viel Verständnis bei jungen Leuten, und mehr als einmal kam es infolge der Gedankenlosigkeit unserer Besucher zu unerquicklichen Szenen. Als mein früheres System noch ausgeübt wurde und meine Patienten die Erlaubnis hatten, frei umherzugehen, wurden sie oft durch unvernünftige Leute, die das Haus besichtigen

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