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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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in Hof und Garten herumführte.
    »Ich kann Ihnen gegenwärtig meine Patienten nicht zeigen«, sagte er. »Ein empfindliches Gemüt wird von solchem Anblick stets etwas erschüttert; und ich möchte Ihnen den Appetit vor Tisch nicht verderben. Lassen Sie uns zuerst speisen. Ich kann Ihnen Kalb á la Sainte Ménéhould mit Blumenkohl in Sauce velouté vorsetzen – dann ein Glas Elos Vougeot – das wird Ihre Nerven genügend stärken.«
    Um sechs Uhr rief man zu Tisch, und mein Gastgeber führte mich in einen langen Speisesaal, wo ich eine große Gesellschaft versammelt fand – etwa fünfundzwanzig bis dreißig Personen. Es schienen Leute von Rang – wenigstens von guter Herkunft – wenngleich ihre Kleidung mir etwas überladen schien; sie hatte die aufdringliche Eleganz der Bourbonenzeit. Ich bemerkte, daß mindestens zwei Drittel der Gäste Damen waren, von denen einige sich keineswegs so trugen, wie es heutigen Tages in Paris zum guten Ton gehört. Manche z.B., deren Alter kaum unter siebzig sein konnte, waren mit Juwelen, Ringen, Armbändern und Ohrschmuck geradezu überladen, und ihr Taillenausschnitt war von bedenklicher Tiefe. Ich sah ferner, daß nur wenige der Kleider einen guten Schnitt hatten – wenigstens kleideten sie ihre Trägerinnen nicht gut. Während ich Umschau hielt, entdeckte ich das interessante junge Mädchen, mit dem Herr Maillard mich zuvor bekannt gemacht hatte; doch mein Erstaunen war groß sie nun in Reifrock und Stöckelschuhen und einer Haube aus Brüsseler Spitzen zu sehen, einer Haube, die nicht nur unsauber, sondern so übertrieben groß war, daß sie das Gesicht lächerlich klein erscheinen ließ. Als ich die Dame zuerst gesehen hatte, trug sie ein geschmackvolles Trauerkleid. Kurzum, die Kleidung der ganzen Gesellschaft hatte etwas so Wunderliches, daß mir das »Besänftigungs-System« wieder einfiel und gleichzeitig der Gedanke kam, Herr Maillard habe mich bis nach Tisch im unklaren lassen wollen damit mich bei der Mahlzeit nicht etwa die Vorstellung störe, mit Geisteskranken zu speisen. Ich erinnerte mich aber auch daß in Paris die Rede ging welch ein exzentrisches Völkchen die Bewohner der südlichen Provinzen seien und welch veraltete Anschauungen sie hätten. Nachdem ich mit einigen aus der Gesellschaft nur eine kurze Weile geplaudert hatte, schwanden bald meine Zweifel gänzlich.
    Das Speisezimmer war, obschon geräumig und praktisch eingerichtet, keineswegs elegant; so hatte es z.B. keinen Teppich, was allerdings in Frankreich nicht selten ist. Die Fenster waren ohne Vorhänge. Die Schalter waren geschlossen und mit diagonalen Eisenstangen verriegelt, wie es bei uns die Kaufläden sind. Der ganze Raum bildete, wie ich nun sah, einen besonderen Flügel des Schlosses und hatte daher an drei Seiten Fenster, nicht weniger als zehn; an der vierten war die Türe.
    Der Tisch war prächtig gedeckt. Er war mit Schüsseln überladen und mehr als überladen mit Delikatessen. Der Überfluß war geradezu geschmacklos. Nie in meinem Leben sah ich eine solche Verschwendung, ja Mißachtung der köstlichsten Dinge. Die Anordnung des Ganzen war übrigens sehr wenig anmutig. Meine an sanftes Licht gewöhnten Augen mußten nun den Glanz zahlloser Wachskerzen ertragen, die in silbernen Armleuchtern überall im Zimmer verteilt waren. Mehrere Diener warteten auf; und auf einem großen Tisch in einer entfernten Ecke des Saals saßen sieben bis acht Leute mit Geigen, Pfeifen, Blasinstrumenten und einer Trommel. Diese Burschen quälten mich während der ganzen Mahlzeit mit ihrem andauernden Lärm, der wohl Musik sein sollte und alle Anwesenden mit Ausnahme von mir sehr zu unterhalten schien.
    Alles in allem konnte ich nicht umhin, vieles von dem, was ich sah, recht bizarr zu finden – aber es gibt so vielerlei Menschen, mit so vielerlei Gedanken und so vielerlei Gewohnheiten! Auch war ich weit genug in der Welt herumgekommen, daß mir das »nil admirari« zur Selbstverständlichkeit geworden war. Ich nahm also gelassen an der rechten Seite meines Wirtes Platz und sprach mit viel Appetit den guten Spesen zu, die man mir reichte.
    Die Unterhaltung war allgemein und angeregt; wie immer, sprachen besonders die Damen viel. Ich fand bald, daß fast alle Versammelten eine gute Erziehung genossen hatten; und mein Wirt selber erzählte einen launigen Witz nach dem andern. Er schien geneigt, von seiner Stellung als Leiter der Irrenanstalt zu reden, und überhaupt war das Thema »Wahnsinn« zu meiner

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