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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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vergeblich bemühen, mehr von ihnen wiederzugeben als eben möglich ist, mit Worten flüchtig anzudeuten. Durch die übertriebene Einfachheit, ja Nacktheit seiner Bilder fesselte er – erzwang er die Aufmerksamkeit. Wenn je ein Sterblicher vermochte, eine Idee zu malen, so war es Roderick Usher. Mich wenigstens überwältigte – unter den damals obwaltenden Umständen – bei den reinen Abstraktionen, die der Hypochonder wagte auf die Leinwand zu werfen –, mich überwältigte eine ganz unerhörte Ehrfurcht, von der ich nicht einen Schatten hatte empfinden können bei der Betrachtung der sicherlich glühenden, aber doch zu körperlichen Träume Füßlis.
    Eines der phantastischen Gemälde meines Freundes, ein Bild, das nicht so streng abstrakt war, sei hier schattenhaft nachgezeichnet – so gut es Worte eben können. Es war ein kleines Bild und zeigte das Innere eines ungeheuer langen rechtwinkligen Gewölbes oder Tunnels mit niederen, glatten weißen Mauern, die sich ohne jede Teilung schmucklos und endlos hinzogen. Durch gewisse feine Andeutungen in der Zeichnung des Ganzen wurde im Beschauer der Gedanke erweckt, daß dieser Schacht sehr, sehr tief unter der Erde lag. Nirgends fand sich in dieser Höhle eine Öffnung, und keine Fackel noch andere künstliche Lichtquelle war wahrnehmbar – dennoch quoll durch das Ganze eine Flut intensiver Strahlen und tauchte alles in eine gespenstische und ganz unvermutete Helligkeit.
    Ich habe vorhin schon von der krankhaften Überreizung der Gehörsnerven gesprochen, die dem Leidenden alle Musik unerträglich machte, ausgenommen die Klangwirkung gewisser Saiteninstrumente. Vielleicht war es hauptsächlich diese Einschränkung, durch die er auf die Gitarre angewiesen war, die seinen Vorträgen solch phantastischen Charakter lieh. Aber das erklärte noch nicht die feurige Lebendigkeit dieser Impromptus. Sicherlich waren sie, sowohl was die Töne als was die Worte anbetraf (denn nicht selten begleitete er sein Spiel mit improvisierten Versgesängen), das Resultat jener intensiven geistigen Anspannung und Konzentration, von der ich schon früher erwähnte, daß sie nur in besonderen Momenten höchster künstlerischer Erregtheit bemerkbar war. Die Worte einer dieser Rhapsodien sind mir noch gut in Erinnerung. Sie machten wohl einen um so gewaltigeren Eindruck auf mich, als ich in ihrem mystischen Inhalt eine verborgene Andeutung zu entdecken glaubte, daß Usher ein klares Bewußtsein davon habe, wie sehr seine erhabene Vernunft ins Wanken geraten sei. Die Verse, die betitelt waren ›Der verzauberte Palast‹, lauteten ungefähr – wenn nicht wörtlich – so:

    In der Täler grünstem Tale
    Hat, von Engeln einst bewohnt,
    Gleich des Himmels Kathedrale
    Golddurchstrahlt ein Schloß gethront.
    Rings auf Erden diesem Schlosse
    Keines glich;
    Herrschte dort mit reichem Trosse
    Der Gedanke – königlich.
    Gelber Fahnen Faltenschlagen
    Floß wie Sonnengold im Wind –
    Ach, es war in alten Tagen,
    Die nun längst vergangen sind! –
    Damals kosten süße Lüfte
    Lind den Ort,
    Zogen als beschwingte Düfte
    Von des Schlosses Wällen fort.
    Wandrer in dem Tale schauten
    Durch der Fenster lichten Glanz,
    Geister zu dem Sang der Lauten
    Schreiten in gemeßnem Tanz
    Um den Thron, auf dem erhaben,
    Marmorschön,
    Würdig solcher Weihegaben
    War des Reiches Herr zu sehn.
    Perlengleich, rubinenglutend
    War des stolzen Schlosses Tor,
    Ihm entschwebten flutend, flutend
    Süße Echos, die im Chor,
    Weithinklingend, froh besangen
    – Süße Pflicht! –
    Ihres Königs hehres Prangen
    In der Weisheit Himmelslicht.
    Doch Dämonen, schwarze Sorgen,
    Stürzten roh des Königs Thron. –
    Trauert, Freunde, denn kein Morgen
    Wird ein Schloß wie dies umloh‘n!
    Was da blühte, was da glühte
    – Herrlichkeit! –
    Eine welke Märchenblüte
    Ist‘s aus längst begrabner Zeit.
    Und durch glutenrote Fenster
    Werden heute Wandrer sehn
    Ungeheure Wahngespenster
    Grauenhaft im Tanz sich drehn;
    Aus dem Tor in wilden Wellen,
    Wie ein Meer,
    Lachend ekle Geister quellen –
    Ach, sie lächeln niemals mehr!

    Ich entsinne mich gut, daß diese Ballade uns auf ein Gespräch führte, in dem Usher eine seltsame Anschauung kundgab. Ich erwähne diese Anschauung weniger darum, weil sie etwa besonders neu wäre (denn andere haben ähnliche Hypothesen aufgestellt), als wegen der Hartnäckigkeit, mit der Usher sie vertrat. Seine Anschauung bestand in der Hauptsache darin, daß er den Pflanzen ein

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