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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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interessieren, denn er ist höchst sonderbar.«
    »Einfach und sonderbar!« sagte Dupin.
    »Nun ja; und doch wieder keins von beiden. Es hat uns nur alle so verwirrt, daß die Geschichte so einfach ist und man ihr doch nicht beikommen kann.«
    »Vielleicht ist es gerade die Einfachheit der Sache, die Sie irreleitet, mein Freund.«
    »Was für Unsinn Sie reden!« erwiderte der Präfekt lachend.
    »Vielleicht ist das Geheimnis ein wenig zu klar«, sagte Dupin.
    »O Himmel! Welche verrückte Idee!«
    »Ein wenig zu durchsichtig.«
    »Ha, ha, ha! – Ha, ha, ha! – Ho, ho, ho!« brüllte unser Besuch aufs höchste belustigt. »O Dupin, Sie werden noch an meinem Tod schuld sein.«
    »Was für eine Sache ist es denn nun aber eigentlich?« fragte ich.
    »Schön, Sie sollen es hören«, erwiderte der Präfekt und tat einen langen kräftigen und nachdenklichen Zug aus der Pfeife; dann rückte er sich im Stuhl zurecht und begann: »Ich will es Ihnen in kurzen Worten sagen; doch ehe ich anfange, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Sache tiefstes Geheimnis ist und größte Diskretion verlangt und daß ich höchstwahrscheinlich meinen Posten verlieren würde, wenn es herauskäme, daß ich sie jemand erzählt habe.«
    »Fahren Sie fort«, sagte ich.
    »Oder auch nicht«, sagte Dupin.
    »Also gut; ich wurde von sehr hoher Stelle benachrichtigt, daß ein Dokument von höchster Wichtigkeit aus den königlichen Gemächern entwendet worden sei. Die Person, die den Diebstahl ausführte, kennt man; das steht fest, denn sie wurde bei der Tat beobachtet. Man weiß ferner, daß sie noch im Besitz des Dokumentes ist.«
    »Woher weiß man das?« fragte Dupin.
    »Dies ergibt sich aus der Natur des Dokumentes selbst und daraus, daß gewisse Ergebnisse nicht eingetreten sind, die unausbleiblich erfolgen würden, wenn der Dieb das Papier aus den Händen gäbe – das heißt, wenn er es so anwendete, wie er es im Grunde beabsichtigen muß.«
    »Seien Sie ein bißchen deutlicher«, sagte ich.
    »Schön, ich kann so weit gehen zu sagen, daß das Papier seinem gegenwärtigen Besitzer eine gewisse Macht verleiht an einer gewissen Stelle, wo diese Macht von ungeheurem Wert ist.« Der Präfekt liebte es, sich diplomatisch auszudrücken.
    »Ich verstehe noch immer nicht ganz«, sagte Dupin.
    »Nicht? Also: würde der Inhalt des Dokumentes einer dritten Person, die ich hier ungenannt lassen will, eröffnet, so würde das die Ehre einer sehr hochstehenden Persönlichkeit in ein schlechtes Licht setzen, und dieser Umstand gibt dem Inhaber des Papiers ein Übergewicht über die erlauchte Person, deren Ruhe und Ehre dadurch gefährdet sind.«
    »Aber dieses Übergewicht«, warf ich ein, »würde nur dann bestehen, wenn der Dieb wüßte, daß der Bestohlene selbst genaue Kenntnis von der Person des Täters hat. Wer aber könnte wagen...«
    »Der Dieb«, sagte G., »ist der Minister D., der alle Dinge wagt, ob sie einem Ehrenmann nun anstehen oder nicht. Das Vorgehen des Diebes war ebenso sinnreich als kühn. Die hohe Persönlichkeit hatte das fragliche Dokument – einen Brief, frei herausgesagt – bekommen, als sie sich allein im königlichen Boudoir befand. Während sie ihn las, wurde sie plötzlich durch den Eintritt einer anderen hohen Person gestört, der nämlichen, vor der sie gerade diesen Brief geheimzuhalten wünschte. Nach einem hastigen und vergeblichen Versuch, den Brief in ein Schubfach zu werfen, war sie genötigt, ihn, offen wie er war, auf einen Tisch zu legen. Indessen lag die Adresse zuoberst, und da der Inhalt also nicht sichtbar war, fiel der Brief weiter nicht auf. So standen die Dinge, als der Minister D. eintrat. Sein Luchsauge erblickt sofort das Papier, erkennt die Handschrift der Adresse, bemerkt die Verwirrung des Adressaten und errät sein Geheimnis. Nach einigen geschäftlichen Unterhandlungen, die er in gewohnter Weise schnell abwickelt, zieht er einen Brief aus der Tasche, der dem in Frage stehenden einigermaßen gleicht, öffnet ihn, tut, als lese er ihn, und legt ihn dann dicht neben den andern nieder. Wieder spricht er etwa fünfzehn Minuten über die öffentlichen Angelegenheiten. Schließlich verabschiedet er sich und nimmt von dem Tisch den Brief, auf den er kein Anrecht hatte. Der rechtmäßige Besitzer sah dies, wagte aber natürlich nicht in Gegenwart jener dritten Person, die dicht an seiner Seite stand, die Sache zu erwähnen. Der Minister entfernte sich, seinen eigenen, ganz unwichtigen Brief auf dem

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