Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
spring!«
Und Edgar sprang. Er stürzte sich wagemutig in die Tiefe und war darauf gefasst, dass er unten aufschlagen und sich alle Knochen brechen würde. Doch sein Körper wusste es besser. Edgar landete sanft auf allen vieren – und es tat nicht einmal weh. Das erstaunte ihn am meisten.
»Na, Kleiner, war’s so schlimm?« Algernon grinste. »Runter kommt man immer! – Jetzt aber los, ich habe Hunger!«
Sie liefen durch den Park, der inzwischen fast menschenleer war. Trotzdem hatte Edgar das Gefühl, beobachtet zu werden. Tausend Augen schienen sich im Nebel zu verstecken … Er war froh, Algernon an seiner Seite zu haben.
»Spürst du das auch?«
»Was meinst du, Eddy?«
»Mir ist irgendwie unheimlich. Als würde uns jemand verfolgen. Aber ich kann niemanden sehen.« Edgar blieb stehen und blickte sich um. Nichts. Nur der weiße, geheimnisvolle Nebel, der in leichten Schwaden über dem Gras trieb.
»Äh, du hast nicht zufällig einen Knall, Eddy?«, fragte Algernon spitz. »Es gibt Katzen, die hören im Kopf Stimmen, obwohl niemand da ist. Und sie tun dann Dinge, die ihnen diese Stimmen auftragen – beispielsweise die eigene Kacke nicht mehr verbuddeln oder ins Wasser springen oder sich mit Hunden anfreunden … Sie sind ein bisschen balla-balla, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Du denkst, ich bin nicht normal.« Edgar war etwas eingeschnappt.
»Das habe ich nicht gesagt«, entgegnete Algernon. »Vor dem Nebel brauchst du keine Angst zu haben. Es ist nur Nebel, auch wenn er sich manchmal zu Gestalten formt. Ich hoffe, deine Emma hat dir nicht zu viele Gespenstergeschichten erzählt.« Er lachte leise.
Edgar trabte wieder neben ihm her, aber schon nach wenigen Schritten spürte er erneut ein Prickeln im Nacken – so als hätte ihn jemand erspäht und würde sich an seine Fersen heften. Der schwarze Kater versuchte, das Gefühl zu ignorieren, um sich nicht Algernons Spott auszusetzen. Doch es gelang ihm nicht. Das Prickeln wurde immer stärker, und Edgar musste an den Killer denken, der es auf Katzen abgesehen hatte. Wenn dieser Schlächter nun im Park war? Es gab unzählige Möglichkeiten, sich zu verbergen und dem Opfer aufzulauern … Algernon war sich zwar sicher, dass der Unhold nur in der Nacht zuschlug, aber es war ja schon fast dunkel.
Schließlich hielt Edgar es nicht mehr aus und blieb stehen. Er lauschte angestrengt. Hatte es da nicht rechts im Gebüsch geraschelt?
»Algernon, warte!«, wisperte er.
Der Straßenkater verharrte mitten in der Bewegung. »Was ist?«
»Hörst du nichts, Al?«
»Nö.«
»Doch, da war eben ein Geräusch. Ganz deutlich. Es kam aus dem Busch.« Edgar begann, am ganzen Körper zu zittern. Es war ihm peinlich, doch er konnte nichts dagegen tun. Seine Glieder hatten sich verselbstständigt, seine Pfoten führten ein schlotterndes Eigenleben …
»Jetzt habe ich es auch gehört«, flüsterte Algernon zurück. Die Pupillen in seinen grünen Augen verengten sich, er war sehr konzentriert. Dann schoss er aus dem Stand auf das Gebüsch los.
Ein graues Eichhörnchen raste über das Gras, erreichte den nächsten Baum und jagte wie ein Blitz den Stamm hoch. Algernon sprang hinter ihm her, aber das Eichhörnchen war schneller und brachte sich im Baumwipfel in Sicherheit.
»Mist!«, schimpfte Algernon. »Fast hätte ich es geschnappt. Wär ein leckeres Fresschen gewesen. Pech!«
Edgar starrte hoch in den Baumwipfel, wo das verschreckte Hörnchen saß. Hatte er tatsächlich die Augen dieses kleinen Tiers gespürt? Seinem Gefühl nach war er von etwas Größerem beobachtet worden …
Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Ein Schatten löste sich aus dem Nebel. Groß. Bedrohlich.
Zum ersten Mal in seinem Leben merkte Edgar, wie sein Instinkt funktionierte. Wie ein Pfeil fuhr der Schreck in seinen Körper und setzte dort ungeahnte Kräfte frei. Ohne Nachzudenken ergriff er die Flucht, sein Körper flog förmlich über den Boden, und ehe er sich’s versah, saß er auf dem Ast des Baums, auf den sich das Eichhörnchen gerettet hatte. Edgar hatte nicht die geringste Ahnung, wie er da hochgekommen war. Sein Herz jagte.
Er hatte sich nicht getäuscht. Der Schatten war da – riesig, lebendig. Es war eine mächtige Raubkatze, schwarz wie die Nacht. Die gelben Augen glühten wie Kohlen in Emmas Ofen.
Auch Algernon hatte das Untier inzwischen wahrgenommen. Der Straßenkater stand wie angewurzelt da, machte einen Buckel und hatte seinen Schwanz
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