Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
sind Sie mir wieder den ganzen Tag gefolgt?«
»Fast den ganzen Nachmittag« gab er zu.
»Ich dachte, Sie seien verreist, Captain Featherstone, Sie fallen mir allmählich auf die Nerven.«
»Und Sie fallen mir schon seit Monaten auf die Nerven« antwortete er gelassen. »Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß es ein Vergnügen ist, immer hinter Ihnen her durch ganz London zu jagen? Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«
Plötzlich wurde sie vernünftig und bereute ihr Verhalten ihm gegenüber.
»Ich – es tut mir so leid« sagte sie kleinlaut, »aber es ist merkwürdig, daß Sie immer meinen Widerspruch wecken, wenn Sie etwas sagen. Ich bin Ihnen ja so dankbar, daß Sie gerade im richtigen Moment gekommen sind. Es war wirklich mehr als nur unangenehm. Ist sie denn wirklich mit ihm verheiratet?«
Er nickte.
»Ich habe mich nie zuviel um diese gemischten Ehen gekümmert, aber aus dem kindischen Stolz, mit dem die gute Fay ihren Trauring trägt, schließe ich, daß eine regelrechte Heirat vorliegt. Nichts macht die gewohnheitsmäßigen Verbrecher so froh, als wenn sie trotz ihres verfehlten Lebens der Welt irgend etwas Rechtmäßiges zeigen können.«
»Ich dachte, Sie wären verreist« wiederholte Valerie.
»Das haben Sie mir schon eben gesagt. Es tut mir sehr leid, daß es nicht der Fall ist. Wenn ich meinen Wünschen folgen könnte, so würde ich jetzt in den Tiroler Alpen die Berge hinaufklettern.«
Valerie wußte nicht, wie sehr Jim lügen konnte. Denn es gab keinen Platz in der weiten Welt, an dem er im Moment lieber gewesen wäre, als an ihrer Seite in dem ruhig dahingleitenden Rolls Royce-Wagen, der sie durch die Straßen von West End trug.
Plötzlich entschlüpfte ihr ein Ausruf des Ärgers.
»Ach, ich vergaß ihn etwas zu fragen« begann sie, »und das war doch eins der wichtigsten Dinge, die ich wissen mußte.«
»Vielleicht kann ich es Ihnen sagen« meinte er, aber sie schüttelte abweisend den Kopf.
»Sie können mir nicht sagen, was ich brauche« erwiderte sie lächelnd.
»Eines Tages werden Sie sich davon überzeugen, daß Sie sich auf meine Auskünfte mehr verlassen können als auf irgendwelche andere.«
Sie zögerte einen Augenblick, dann öffnete sie ihr Täschchen und zog daraus einen zusammengelegten Bogen hervor, den sie sorgfältig auf ihrem Schoß entfaltete.
»Das ist ein Plan der Burg« sagte Jim sofort.
»Es ist ein alter Plan, ich habe ihn von einem Buchhändler in Guildford gekauft. Er zeigt die Burg nicht, wie sie heute ist, sondern wie sie vor zweihundert Jahren war. Sie sehen, es sind keine Wohnräume eingezeichnet und dieser Raum –« sie zeigte mit dem Finger auf eine Stelle – »der jetzt als Bibliothek benutzt wird, ist als Gerichtshalle bezeichnet.«
Er nickte.
»Es war der Raum, in dem die alten de Curcys ihre Gefangenen verhörten« sagte er schnell. »Und was jetzt« – er deutete auf eine andere Stelle – »die Eingangshalle der Burg ist, war die Folterkammer, wo die Gefangenen gezwungen wurden, die Wahrheit zu sagen. Es gibt Augenblicke, in denen ich bedaure, daß heutzutage Folterkammern nicht mehr im Gebrauch sind, denn das Verbrechen, das in England heute am häufigsten begangen wird, ist vorsätzlicher Meineid. Wenn wir nur einige kleine, malerisch aussehende Folterinstrumente über den Zeugenstuhl hängen könnten –«
»Aber bitte bleiben Sie doch bei der Sache. Sind Sie sicher, daß dies jetzt die Bibliothek ist?«
»Natürlich, ich habe viel modernere Pläne als Sie, die ich von dem letzten Eigentümer der Besitzung erhielt.«
»Würden Sie mir die leihen?« fragte sie begierig.
»Warum?«
»Weil ich sie brauche.«
Es war zwar kein überzeugender Grund, aber zu ihren größten Erstaunen gab Captain Featherstone nach.
»Aber ich möchte Ihnen denn doch einen Rat geben, meine liebe Freundin« sagte er. »Gehen Sie, wenn Sie es absolut wünschen, meinethalben nach Limehouse und durchforschen Sie dort die kleine Höhle, in der Coldharbour Smith seine Kneipe hat. Besuchen Sie so oft Sie wollen El Moro’s, und ich will dafür sorgen, daß nichts passiert, was Ihnen oder Ihrem Ruf schaden könnte. Aber versuchen Sie um Himmels willen nicht, allein nach Garre Castle zu gehen und dort Ihre Nachforschungen anzustellen.«
Er sprach langsam und eindringlich und sie konnte sich nicht verhehlen, daß er es sehr ernst meinte.
»Auf gewöhnliche Weise werden Sie niemals dort hineinkommen. Ich möchte, daß Sie mir versprechen, nichts
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