Egeland, Tom
herausnimmt und die Bibel und ihre Botschaft als geschichtliches und philosophisches Manifest betrachtet?
Die Jesusforschung ist mannigfaltig und hat sich innerhalb der letzten hundert Jahre und erst recht in den letzten Jahrzehnten mit rasender Geschwindigkeit entwickelt. Bereits früh im 20. Jahrhundert wies Albert Schweitzer darauf hin, wie Wissenschaftler das Bild von Jesus den Idealen ihrer Zeit gemäß formten. Wie in allen anderen Wissenschaften auch, gibt es innerhalb der Theologie ungleiche Richtungen, Tendenzen und » Schulen «. Viele der Gedankengänge in Frevel gründen auf einer relativ quellenkritischen und radikalen amerikanischen Tradition. Andere Forscher sind eher konservativ und positiv den Quellen gegenüber eingestellt.
Die meisten theologischen Wissenschaftler haben gemeinsam, dass sie in unterschiedlichem Ausmaß von ihrem eigenen Glauben (oder Mangel an Glauben) geprägt sind. Die Theologie ist keine absolute Wissenschaft. Die Standpunkte der Forscher sind zu einem hohen Grad von deren persönlichem Glauben und theologischen (und zu einem bestimmten Grad politischen) Ansichten gefärbt. Unterschiedliche Wissenschaftler gewichten Fakten und Hypothesen unterschiedlich.
Gemeinsam mit meiner Romanfigur Bjørn Beltø surfe ich lediglich an der Oberfläche dieses spannenden Fachgebietes Theologie. Fachtheologen werden über viele der Dialoge und Gedanken in diesem Buch wohl nachsichtig oder provoziert lächeln. Wie die meisten Autoren habe auch ich einen Standpunkt gewählt, und die erfundenen Theologen und Wissenschaftler im Buch vertreten Gesinnungen, die zur Handlung des Romans passen. Damit sind sie nicht repräsentativ für die große Vielzahl an Theologen. Ich habe, ähnlich wie Dan Brown, einen Roman geschrieben. Ich behaupte nicht, die Wahrheit herausgefunden zu haben.
Und die Forscher?
Evangelien, die niemals auftauchten
W ie wortwörtlich oder kritisch soll man das Neue Testament lesen?
Jeder Leser muss darauf seine eigene Antwort finden.
Das Neue Testament ist eine Schriftensammlung, ein so genannter Kanon, der zwar zum Großteil bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung vorlag, aber erst auf den Synoden von Hippo Regius (393) und Karthago (397) abschließend zusammengesetzt und von den Kirchenvätern anerkannt wurde.
Die vier Evangelisten – Markus, Matthäus, Lukas und Johannes –waren allem Anschein nach Christen der zweiten Generation, die ihre Texte gegen Ende des ersten Jahrhunderts schrieben (einzelne Theologen meinen, das Johannesevangelium könnte tatsächlich vom Apostel Johannes geschrieben worden sein). Markus verfasste sein Evangelium, das erste der vier, wahrscheinlich um das Jahr 70. Matthäus und Lukas wussten beide, was Markus geschrieben hatte. Doch noch ehe eines der vier Evangelien vorlag, wurde das verfasst, was später unter dem Namen Q bekannt wurde.
Das Q-Evangelium » gibt « es nicht. Gleichwohl wird es von vielen als » das erste Evangelium « angesehen, welches Markus und Lukas später als Quelle benutzten (daher die Abkürzung Q). Es waren deutsche Bibelforscher, die zu dem Schluss kamen, es müsse eine schriftliche Quelle für das existieren, was im Matthäus-und Lukasevangelium als Jesu Wort wiedergegeben ist.
Auf der Grundlage existierender Schriften wurde Q Wort für Wort von Forschern am Institute for Antiquity and Christianity in den USA rekonstruiert (http://iac.cgu.edu). Streng genommen beinhaltet Q nichts Neues oder Unbekanntes, sondern ist ein theoretisches Modell, das für den gemein samen Stoff bei Matthäus und Lukas eine Erklärung geben kann. Wer sich näher für Q interessiert, kann ausführlichere Informationen im Internet finden: http://iac.cgu.edu/qproject.html bzw. http://home page.vir gin.net/ron.pric e A ls die Bibeltexte zusammengestellt werden sollten –ein Prozess , der mehrere hundert Jahre andauerte –lagen sehr viel mehr Texte vor als jene, die die » Bibelredakteure « mit ihrem göttlichen Qualitätsstempel schließlich absegneten. Die apokryphen Evangelien –die verborgenen oder geheimen Evangelien –sind Schritten, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden. Unter anderem, da man sie nicht als ursprünglich genug in Bezug auf die Geschehnisse ansah, die sie schilderten (sie waren » zu spät « geschrieben worden, also 100-200 Jahre nach den anderen Evangelien). Andere Theologen betonen, dass die Schriften in den Augen der orthodoxen Christen ketzerisch waren oder dass sie abweichende Bilder von Jesus
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